Czernowitz Bukowina - Wo Menschen und Bücher lebten

 

Inhalt

Buchvorstellung
O.A.

Die rumänische Epoche in der Bukowina. Mariana Hausleitners fulminante Arbeit über die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen

BildGab es für die Theorie der rumänischen Nationalisten Belege, eine rumänische Mittelschicht in der Bukowina sei in der habsburgischen Ära von Juden verdrängt worden? Stimmt die Behauptung der Rumänen, die Schulen der Ukrainer seien von den österreichischen Behörden mehr gefördert worden? Warum wurde die Tätigkeit der ukrainischen und deutschen bäuerlichen Genossenschaften behindert? Verbreiteten die Lesesäle auf dem Lande tatsächlich irredentistische Ideen? Gibt es Unterschiede in der Politik gegenüber den Juden zwischen der explizit antisemitischen Regierung Goga 1937/38 und den nachfolgenden Regierungen in der Zeit der "Königsdiktatur" bis 1940? Wodurch überlebten mehr Juden aus der Bukowina als aus Bessarabien das Inferno in Transnistrien? Aufgrund welcher Faktoren werden einige der Vordenker und Planer der Vertreibung heute in Rumänien als aufrechte Patrioten und bedeutende Wissenschaftler geehrt?

Diesen und anderen Fragen spürt Mariana Hausleitner, Slawistin und Dozentin für Osteuropäische Geschichte an der Freien Universität Berlin, in ihrer Habilitationsschrift nach, die jetzt in einer vorzüglichen und gut lesbaren Ausgabe des Südost-Instituts München vorliegt. Wie Hausleitner darlegt, konnte die Arbeit erst entstehen, nachdem das Bezirksarchiv in der heutigen ukrainischen Stadt Czernowitz ab 1990 für Ausländer geöffnet wurde. Auch im Staatsarchiv in Bukarest waren die meisten Akten vor 1990 nicht zugänglich. Hausleitner schöpft ebenso aus Akten des Bonner Auswärtigen Amtes, des Diplomatischen Archivs des französischen Außenministeriums in Paris und Nanterre und des Staatlichen Ukrainischen Archivs in Lemberg. Generell war das in ihrer Arbeit verwendete Quellenmaterial auch national nicht erschlossen soweit es den Osten Europas betrifft, weil die Bukowina vor 1990 als Tabuthema in der Sowjetunion und in Rumänien galt.

Einleitend untersucht Hausleitner die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bukowina vor 1918. Bis zum Zusammenbruch der Habsburgermonarchie lässt sich die Bukowina ohne Schwierigkeiten als multikulturelle Gesellschaft bezeichnen. "Alle Kulturen konnten sich frei entwickeln, und zwischen den Ethnien bestanden intensive Kontakte."

Die Zwischenkriegszeit wird in zwei Kapiteln vorgestellt, die jeweils die Zeiträume bis 1928 und bis 1940 umfassen. Die allgemeine Rumänisierung schuf das Problem, so Hausleitner, die Modernisierung nicht entschlossen genug voranzutreiben und stattdessen lieber auf die Förderung der nationalen Industrie zu setzen. Die selbstverwalteten Sozialkassen der Gewerkschaften wurden unter Bukarester Kuratel gestellt, deutsche und ukrainische Schulen gegenüber rumänischen finanziell benachzeiligt, der Ausschluss der Juden aus allen Führungspositionen des Landes gefordert und angegangen. In den Dreißigern verstärkte sich diese Tendenz. Zudem brachen sich zum Ende der Dekade ein aggressiver Nationalismus, Antisemitismus und der deutsche Nationalsozialismus Bahn, politisch-fundamentale Bewegungen, in deren Schweif sich die ethnische Toleranz und die relative Friedfertigkeit der Bukowiner Bevölkerung zunehmend aufrieben.

Die Auswertung des Quellenmaterials und seine Einordnung in die bukowinische Historie der Zwischenkriegszeit hat Mariana Hausleitner mit großem Sachverstand und einer hohen Sprachkompetenz bewerkstelligt. Wir gewinnen durch ihre ausführliche und breit angelegte Untersuchung einen eindringlichen und verdichteten Eindruck in den wohl wichtigsten Abschnitt Bukowiner Geschichte, in die rumänischen Ära nämlich, wie er uns Nachgeborenen bisher vorenthalten war. Entstanden ist ein Standardwerk zur Bukowina.




Mariana Hausleitner. Die Rumänisierung der Bukowina. Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Anspruchs Großrumäniens 1918 - 1944. Oldenbourg, München 2001. Gebunden, 497 Seiten. ISBN 3486565850, 64,80 €

Gelber Balken