Czernowitz Bukowina - Wo Menschen und Bücher lebten

 

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Buchvorstellung
Othmar Andrée

"Mogilew war nichts für Naive"

Jüdischer Widerstand und Rettungsversuche in Mogilew-Podolski, 1941-1944. Zu Siegfried Jägendorfs Erinnerungen. Von Othmar Andrée


Die Geschichte um den "Siemens-Direktor" Siegfried Jägendorf ist zu wichtig, als dass man sie im Kontext der Bukowina- und Holocaustliteratur übersehen dürfte. Wir erinnern uns: Siegfried Jägendorf hat sich als einer unter Tausenden der von den Rumänen verschleppten Juden in bewundernswerter, ungewöhnlich engagierter, wenn nicht sensationeller Weise für die in die Gebiete jenseits des Dnjestr - Transnistrien - deportierten Landsleute eingesetzt und viele vor dem sicheren Tod bewahrt. Jägendorf war Ingenieur und Verkaufsleiter von Siemens-Schuckert in Czernowitz, Unternehmer und Firmendirektor und lebte bei seiner Deportation im Herbst 1941 in Radautz, Südbukowina. Er wurde 1885 in der Bukowina als viertes Kind einer jüdisch-orthodoxen Familie geboren.

Viele der verfolgten Juden im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten machten sich über die wahren Absichten der Deutschen keine Illusion, haben ihr Schicksal nicht ergeben hingenommen und Widerstand geleistet. Sie organisierten sich im Untergrund, schlossen sich kämpfenden Partisaneneinheiten an, unterstützten diese oder führten sie selbst an. Sogar in den Konzentrationslagern kam es zu vereinzelten, nicht weniger spektakulären Widerstandsaktionen. Auch in den jüdischen Ghettos bildeten sich Widerstandsgruppen, die ihren Bewohnern zur Flucht verhalfen und vereinzelt Aufstände und Revolten initiierten.

Aber ebenso gab es Versuche, sich durch Fleiß, Tüchtigkeit, höchste Produktivität und Improvisationsgeist für die Deutschen unentbehrlich, "unersetzlich", wie Jägendorf sich ausdrückte, zu machen. "Wir mussten einen Weg finden, um unsere Nützlichkeit unter Beweis zu stellen", sagt Jägendorf in seinen Aufzeichnungen. Das erinnert an das Ghetto Lodsch (Łódź). Der Vorsitzende des Judenrats Chaim Rumkowski hatte die Losung "Unser einziger Weg ist Arbeit" ausgegeben.

Es waren nicht nur Jägendorfs Visionen, nicht allein sein resolutes und beherztes Auftreten, sondern gewiss auch eine Kette glücklicher Umstände, ein Sonderfall in der Geschichte der rumänischen Judenverfolgung, die es dem Sechsundfünfzigjährigen im Herbst 1941 gelingen ließen, den Deutschen wie den Rumänen gleichsam den Schneid abzukaufen. "Ich war entschlossen, Widerstand zu leisten", schreibt er in seinen Erinnerungen. Für Verständnis und Nachvollziehbarkeit des "Balanceaktes zwischen Anpassung und Widerstand" (Transit Buchverlag) waren aber ebenso die persönliche Reputation und Courage dieses Mannes ausschlaggebend.

Schon vor seiner Ankunft in den kriegszerstörten Städtchen Ataki und Mogilew-Podolski (Mohilău, Могилів-Подільський, links des Dnjestrs, Winnitzka Oblast, Südwestukraine) "hatte er anscheinend unter den Deportierten den Status eines Hauptverantwortlichen" (Hirt-Manheimer). Die Kontaktaufnahme mit dem deutschen Kommandeur von Mogilew geriet dennoch zu einem einzigen Husarenstück. Jägendorf legte eine rumänische Offiziersuniform an, über die er offensichtlich nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst ein Jahr zuvor noch immer verfügte und die er wohl in die Deportation hatte hinüberretten können. Vor den Deutschen gab er sich als rumänischer Oberleutnant der Reserve aus. "Wäre er als falscher Offizier gefasst worden, hätte man ihn höchstwahrscheinlich auf der Stelle [...] exekutiert." (Hirt-Manheimer). In seinen Erinnerungen jedoch hat sich Jägendorf gegenüber dem deutschen Kommandanten allein mit einem Schreiben der Siemens-Schuckert-Werke legitimiert, in dem er als ehemaliger Verkaufsleiter ausgewiesen war - und sicher auch mit seiner deutschen Sprache.

Das Zusammentreffen mit dem rumänischen Präfekten von Mogilew, Colonel Ion Baleanu, gehört in die Reihe der Glückfälle in dieser Geschichte. "Es scheint", so Hirt-Manheimer, "dass Baleanu und Jägendorf als Offiziere in der österreichisch-ungarischen Armee gedient und ihren Dienstgrad behalten hatten, nachdem sie rumänische Staatsbürger geworden waren."

Dennoch waren Stellung, Einfluss und Ansehen Jägendorfs in den dreißig Monaten, die das Ghetto in Mogilew bestand, Schwankungen unterworfen wie permanenten Bedrohungen ausgesetzt. Verantwortlich dafür waren die ständigen Gewichtsverlagerungen und Konflikte auf Seiten der deutschen Militär- wie der rumänischen Zivilverwaltung, sowie der Kriegsverlauf, nicht zuletzt Gegenkräfte in Gestalt des rumänischen Geheimdienstes. Aber auch Spannungen und Auseinandersetzungen in der Gemeinschaft der Deportierten selbst waren zu bewältigender Alltag.

Immer wieder erstaunt, wie planlos und zögerlich die Rumänen - im Gegensatz zu den Deutschen - die Drangsalierung und Ghettoisierung der Deportierten angingen, gelegentlich sogar Anstrengungen unternahmen, im Rahmen ihrer militärischen und administrativen Aufgabenstellung sowie im gewöhnlichen Alltag zu einem erträglichen Miteinander zu finden. Dies geschah allerdings zu einem großen Teil aus Eigennutz. Dabei torpedierten die Rumänen nicht selten Absichten und Kriegsziele der Deutschen und brachten auch immer wieder ihren eigenen Geheimdienst gegen sich auf.

So schreibt Jägendorf, dass die rumänische Politik in Transnistrien keine einheitliche Richtung verfolgte. "Sogar als die [rumänische] Industriebehörde den Wert organisierter jüdischer Arbeit erkannt hatte, konspirierten die Armee oder der Geheimdienst, um uns zu vernichten." Anfang Oktober 1942 befahl der Geheimdienst [dem neuen Distriktpräfekten] Colonel Nasturas, 3.000 Juden aus Mogilew in das Lager nach Peciora (Petschora, heute Печера, Winnitzka Oblast, rechts des Bugs) zu deportieren, was deren Untergang bedeutete. Dann wieder war es den Juden im Ghetto Mogilew möglich, die zerstörten Synagogen aufzubauen und an Gottesdiensten teilzunehmen. Ein andermal spricht Jägendorf von seinen "sehr guten Beziehungen zum neuen Bürgermeister von Mogilew, Hauptmann Nicolae Botta".

Es drängt sich die Frage auf, ob Jägendorf unter rein deutscher Verwaltung je eine so große Wirkung hätte erzielen, je einen solchen Umgang mit den Deutschen hätte pflegen können, wie ihm das unter und mit den Rumänen gelang. Andererseits scheint es, als wäre die Wand, die ihn von seiner Niederlage, seinem Scheitern und seinem Ende trennte, immer wieder nur papierdünn gewesen.

Ein bezeichnendes Licht auf diese Frage wirft der Bericht über die persönliche Begegnung Jägendorfs mit dem Gouverneur Transnistriens, Gheorghe Alexianu. Der Präfekt hatte Jägendorf im September 1942 dem Gouverneur vorgestellt. "Zu meiner Überraschung", so Jägendorf, "gab mir Professor Gheorghe Alexianu die Hand - die Hand eines Juden, der den Davidstern trug - und gleich darauf der deutsche Kommandant auch. [...] In der Schreinerei [...] lobte der Gouverneur unsere Leistungen und drückte mir zum zweiten Mal die Hand." Dennoch aber zog Jägendorf am Ende sein in Sarkasmus spielendes Resümee: "Mogilew war nichts für Naive".

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Im November 1941 beginnt Jägendorf in Mogilew - im Einvernehmen mit den rumänischen Stellen - mit dem Requirieren einer aufgelassenen Eisengießerei - Turnatoria (turnătorie, das rumänische Wort für Gießerei) tauft man sie - und einer Fabrik für Metallverarbeitung. Dazu legt er dem rumänischen Präfekten eine Liste mit über einhundert jüdischen Fachleuten und Arbeitern vor und setzt durch, dass auch Familienangehörige der eingestellten jüdischen Arbeitskräfte berücksichtigt werden, die in der Stadt Aufenthaltsrecht erhalten sollen. Nach zwei Wochen sind die Reparaturarbeiten am zerstörten Elektrizitätswerk abgeschlossen, und die Stadt hat wieder Licht und Strom. Im Anschluss beauftragen die Rumänen Jägendorf mit der Instandsetzung von Verwaltungsgebäuden für die Präfektur und die Polizei und erteilen hunderte zusätzliche Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen für die Deportierten. Ein Sägewerk wird wieder aufgebaut. Mitte November 1941 wird der Status Mogilews als für Juden gesperrte Stadt ganz und gar aufgehoben. Zehntausend Juden sind in der Produktion beschäftigt.

Im Winter 1941/42 drängen die Juden in Massen aus den Lagern Transnistriens zurück nach Mogilew. Das führt zu Schwierigkeiten mit der rumänischen Verwaltung, die anordnet, dass die Rückkehrer sich bei der Polizei zu melden haben. Daraufhin werden die "Illegalen" von der jüdischen Selbstverwaltung mit der Aufenthaltserlaubnis Verstorbener ausgestattet. Zugleich fordern die Deutschen Arbeitskräfte für den Einsatz in den besetzten Gebieten jenseits des Bugs. Im Dezember 1941 bricht Flecktyphus aus. "Jeden Tag starben hunderte von Juden an dieser von Läusen übertragenen Infektionskrankheit. Wir mussten die Zahl der Totengräber verdoppeln. Ganze Familien wurden ausgelöscht" (Jägendorf). Ende Februar, Anfang März 1942 befinden sich etwa 15.000 Juden in der Stadt. Jägendorf stellt mit Billigung der rumänischen Administration eine jüdische Polizeieinheit auf und richtet ein "Büro zur Koordination jüdischer Arbeit" ein.

Im März 1942 wird das Lager Scazineţ (Skasinetz, heute Сказинці, Rayon Mogiliw-Podilski, einige Kilometer nordöstlich von Mogilew) eingerichtet. Der Präfekt von Mogilew, Colonel Ion Baleanu, sieht in dem Lager eine Möglichkeit, langfristig das Problem der aus den transnistrischen Ghettolagern in die Stadt (illegal) eingeschleusten Juden zu lösen. Jägendorf dagegen ergreift die Gelegenheit, in Scazineţ mit landwirtschaftlichen Fachkräften aus den Reihen der Deportierten eine jüdische Farm einzurichten, die für die Ernährung der 15.000 Deportierten in Mogilew einstehen könnte. Doch der Plan scheitert mit der (Straf-?) Versetzung Baleanus und der Initiative des Gouverneurs, umgehend 4.000 Juden aus Mogilew nach Scazineţ zu deportieren, ohne Rücksicht auf den zu diesem Zeitpunkt katastrophalen Zustand des Lagers. "Ich fürchtete", so Jägendorf, "dass unser Frühlingsgarten [Scazineţ] sich in einen Friedhof verwandeln würde."

Das Jüdische Komitee mit Siegfried Jägendorf an der Spitze trug einerseits Konflikte mit den rumänischen Stellen, den "Behörden", wie er sie nennt, aus, hatte aber zugleich den innerjüdischen Reflex auf Mangel, Unfreiheit, Unterdrückung und externe Gewalt zu parieren. Regelmäßig mussten bei einem Wechsel der Verantwortlichkeiten innerhalb der rumänischen Distrikt- und Kommunalverwaltung, der Polizei und des Militärs die mühsam austarierten Kräfte neu justiert werden. Dennoch nahm unter Jägendorf die "[jüdische] Verwaltung immer mehr den Charakter eines autonomen Staates an mit Finanzabteilung und Gebührenzentrale, [jüdischer] Polizei, Justiz, Sanitätsdient, Abteilungen für Statistik, Arbeitsbeschaffung und einen Bestattungsdienst." (Jägendorf).

"Gegen Ende des Sommers 1942 war die Turnatoria voll in Betrieb und belebte die Wirtschaft in der Region. Wir stellten landwirtschaftliche Geräte sowie eine Vielzahl knapp gewordener Ersatzteile her und füllten unser Lager. [...] Als die Nachfrage nach unseren Produkten stieg, vergrößerten wir die Abteilungen und somit unsere Kapazitäten für die Fabrikation maßgefertigter Armaturen. Bestellungen kamen aus ganz Transnistrien." (Jägendorf)

Im Juni 1942 tritt Jägendorf vom Vorsitz des Jüdischen Komitees zurück. Acht Monate lang hatte er das Komitee geleitet. Die Gründe für den Rücktritt, die "mit keinem Machtverlust verbunden" waren (Hirt-Manheimer), werden von Jägendorf und Hirt-Manheimer widersprüchlich dargestellt. Josef Schauer aus dem Lager Schargorod (heute Шаргород, Winnitzka Oblast, Südwestukraine) wird sein Nachfolger. Jägendorf behält aber "seine prestigeträchtige Stellung als Direktor der Turnatoria, seiner wirklichen Machtbasis." (Hirt-Manheimer)

Jägendorf versäumt keine Gelegenheit, die miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen seiner Mitarbeiter zu verbessern. Im Herbst 1942 spielt ihm das Glück in die Hände, als Dr. Balkas, stellvertretender rumänischer Arbeitsminister und Gouverneur Gheorghe Alexianu in Mogilew eintreffen. Jägendorf kann Balkas von der Notwendigkeit "eines zentralen Amtes zur Koordination jüdischer Arbeitskräfte in ganz Transnistrien" überzeugen, ebenso von der Notwendigkeit gerechter Entlohnung seiner Mitarbeiter in der Eisengießerei Turnatoria. Zudem ersucht er Balkas, alle Lager, besonders Scazineţ aufzulösen. Als die rumänische Verwaltung fordert, im Oktober 1942 "alle Juden in Mogilew den Deutschen zu übergeben", weist Alexianu dieses Ansinnen zurück. "Nach der Besichtigung der Turnatoria muss er zum Schluss gekommen sein, dass wir seinen Zwecken besser lebendig als tot dienten." (Jägendorf) Und doch war die Linie der rumänischen Politik gegenüber den Deportierten widersprüchlich.

Als im Oktober 1942 weitere Deportationen aus dem Ghetto Mogilew ins das Lager Peciora bevorstehen, gibt Josef Schauer sein Amt als Vorsitzender des Jüdischen Komitees auf und Jägendorf übernimmt im Dezember 1942 wieder das Amt. Die Deportationen sind ein ungeheurer Aderlass für das Ghetto Mogilew. 3.000 Menschen sind es allein im Oktober jenes Jahres. Die Ghettobewohner werden mit Viehwagons nach Peciora evakuiert. "In diesem desolaten Lager waren die Lebensumstände so entsetzlich, dass die Opfer laut Zeugenberichten mit Kannibalismus zu überleben suchten. [...] In weniger als einem Jahr sind bis auf 28 Menschen alle 3.000 Juden, die aus Mogilew nach Peciora gebracht wurden, ums Leben gekommen." (Hirt-Manheimer).


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BildOriginalausgabe 1991 bei HarperCollins Publisher, New York

Gegen die unbestreitbaren Verdienste, das Buch übersetzt und herausgegeben zu haben, sowie Durchsetzungsvermögen und überragende Lebensleistung eines Mannes wie Jägendorf und seiner jüdischen Mitstreiter zu würdigen, zugleich einem breiten Lesepublikum vorzustellen, lassen sich leicht die Irrtümer, Nachlässigkeiten und Schludereien des Verlages ins Feld führen. Der macht einem das nicht gerade schwer. Auf ein kluges Lektorat hat man offensichtlich verzichtet. Wie in einem großen Bogen spannen sich Fehler und Unschärfen von der ersten zur letzten Zeile des kommentierten Teils der Ausgabe. So heißt es gleich in der Einführung Hirt-Manheimers: "Rumänien deportiert schätzungsweise 150.000 Juden in die vom Krieg verwüstete und von den Rumänen zurückeroberte westliche Ukraine." Der Begriff Rückeroberung ist zu pauschal, wenn nicht falsch, zählten doch die Gebiete Transnistriens als Teil der westlichen Sowjetukraine und des zaristischen Russland historisch nicht zum Regat. Und schließlich werden im Kommentar zur deutschen Ausgabe am Ende des Bandes die Geschehnisse im Ghetto Mogilew in die östliche Bukowina verortet, wo sie nichts verloren haben.

Die Erinnerungen Jägendorfs überzeugen durch objektive Zurückhaltung und sachliche Ausgewogenheit, Sensibilität und Reflexionsvermögen, wenn auch manche Erinnerungslücke schmerzhaft ist. Man wüsste nur zu gern, wo und in welchem Umfang am amerikanischen Original (Jagendorf's Foundry, 1991 bei HarperCollins Publishers erschienen) gekürzt wurde. Dagegen liest sich der immer wieder in eine boulevardeske Diktion abgleitende Kommentar Hirt-Manheimers eher anstrengend. Er steht mit seinen historischen Ungenauigkeiten, Fehlern und Nachlässigkeiten einer konzisen und überzeugenden Darstellung der Vorgänge im und um das Ghetto Mogilew eher im Wege, als dass er sie deutlich macht.

Unaufhörlich verzettelt er sich in Einzeldokumente und Details und verwischt letztlich die Wirkmechanismen innerhalb einer ghettoisierten Zwangsgemeinschaft sowie ihre Struktur und Bezüge nach außen, als dass er sie verständlich macht. Die im Ghetto sich stauenden Konflikte, die kleinen und großen wie alltäglich vorkommenden kriminellen Verstöße der eingesperrten Menschen gegen das innere Regelwerk des Ghettos unter dem Druck von Not und Bedrohung hätten einer behutsamen Einbindung in den "Problemkomplex Ghetto" bedurft.

Ich greife ein paar Details heraus: SS-Gruppenführer Dr. Richard Wendler war Gouverneur des Distrikts Krakau zwischen 1942 und 1943, und es war nicht ein Mann namens Wächter, der als "Gouverneur von Krakau" im Gespräch mit Hans Frank, Generalgouverneur im besetzten Polen, vorgestellt wird. Dr. Wilhelm Filderman war nicht "Gemeindepräsident des Judentums", Judentum für sich ein Begriff, der sich funktional-administrativer Einordnung entzieht. Die Typhusepidemie im Dezember 1941 war eine Flecktyphusepidemie, was beileibe nicht dasselbe ist, Gustav Richter nicht SS-Hauptsturmbannführer, ein Dienstgrad, den es nicht gab. Marschall Ion Antonescu verlangte im Mai 1943 von der Jüdischen Gemeinde Rumäniens eine Spende von 4 Millionen Lei (Seite 166), einige Seiten zuvor 4 Milliarden Lei. Nazicamps sind gewiss nicht die angemessene Metapher für die unter deutschem Kommando stehenden Lager jenseits des Bugs, in denen das blanke Grauen herrschte. Dort wurden die Verschleppten - anders als unter den Rumänen - nicht selten unmittelbar nach ihrer Ankunft zu Tausenden erschossen.

Geradezu ärgerlich ist die Missachtung der rumänischen Schreibweise sämtlicher Personennamen und in der Toponymik, obwohl das Werk Jägendorfs wie der gesamte historische Ereignisraum auktorial aus rumänischer Perspektive wahrgenommen werden muss. Jedes schlichte Wordprogramm eines heimischen PC gibt heutzutage die diakritischen Zeichen des Rumänischen wieder. In diesem Buch fehlen sie durch die Bank. Ebenso wird eine nicht unbeträchtliche Anzahl ganz gewöhnlicher Rechtschreibfehler vermerkt.

Schmerzlich vermisst man brauchbares Kartenmaterial. Die einzige angebotene Karte, gerade einmal sieben mal acht Zentimeter groß, zeigt auch Teile Bulgariens und Ungarns, jedoch (außer Mogilew) keines der vielen im Text erwähnten Lager und Ghettos. Das erstaunt, kann man dich doch Karten des rumänischen "Gouvernements" Transnistrien (nicht zu verwechseln mit der Transnistrisch-Moldauischen Republik, Hauptstadt Tiraspol) unschwer aus dem Internet herunterladen.

So lässt die Lektüre dieses Bandes den dringenden Wunsch keimen, Jägendorfs Erinnerungen - ungekürzt - noch einmal aufzugreifen und ihnen eine ausführliche, wissenschaftlich begleitete, historisch wie sprachlich kompetente Würdigung an die Seite zu stellen. Das wäre eine Arbeit, die die Wirkung und Leistung eines Mannes wie Jägendorf und seiner jüdischen Mitarbeiter ins rechte Licht rückte und die Umstände deutlich machte, unter denen sich ihr Engagement in einzigartiger Weise entfalten konnte.







Siegfried Jägendorf. Das Wunder von Mogilew.
Die Rettung von zehntausend Juden vor dem rumänischen Holocaust. Herausgegeben und kommentiert von Aron Hirt-Manheimer.
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Döpfer. Berlin 2009
205 Seiten, 18,80 €
ISBN-10: 3887472411
ISBN-13: 978-3887472412


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