Inhalt
Buchvorstellung
O.A.
Czernowitz im Hintergrund
Josef Burgs autobiografische Skizzen, aufgezeichnet von Michael Martens
Völlig ungerechtfertigt steht dieses schmale Werk im Schatten einer stetig wachsenden Bukowina- und Czernowitz-Literatur. Bei Licht besehen ist sein unbedeutender (amazon-)Verkaufsrang nichts weniger als eine Blamage für deren Rezeption. Denn was man hier auf knapp sechzig Buchseiten über das Leben des letzten großen Jiddischisten Europas erfährt, nebenbei über die Einbettung dieser am Rande der Welt liegenden ehemaligen Provinz der Habsburgermonarchie in das Sowjetreich und skizzenhaft über seine faszinierende, zumindest äußerlich auch heute noch vollkommen altösterreichische Metropole, ist vielleicht mehr als man an anderer Stelle zu diesem Lebens-, Ideen- und Geschichtsraum auftreiben kann.
Ein junger Mensch, Michael Martens, nimmt sich im Februar 1998 des hochbetagten Josef Burg an und lässt diesen sich frei vorstellen, ohne dabei selbst ganz aus dem Schatten seiner Ambitionen zu treten. Ein junger Mensch, der seit Jahren auf dem eurasischen Kontinent herumfällt, in den Trümmern des versunkenen Sowjetreichs stöbert und sich dabei auch vor den barbarischen kontinentalen Wintern nicht fürchtet. Afghanistan, Pakistan, China, Tadschikistan, Usbekistan, Tatarstan und Karelien, Kiew, St. Petersburg, schließlich Czernowitz sind die Stationen einer erstaunlichen Erfahrungsreise.
Czernowitz im Handstreich erobern zu wollen, ist freilich ein wackeres Unterfangen. Da ist man ganz schnell mit Spucke und Hemdsärmel dabei, ein wenig Glanz und Struktur auf die Oberfläche zu bringen und vermag doch nicht zur eigentlichen Stadt, zur ihrer historischen und geistigen Emblematik durchdringen. Da wird etwa der Israelitische Tempel zur Synagoge, die 1908 vom Kaiser eröffnet wird und 1947 sowjetischen Sprengversuchen trotzt, eine sachlich-chronologisch nicht ganz ungefährliche Konstruktion. Oder Burg flieht 1940 vor den Nationalsozialisten, wo es doch ohne alle Verbrämung die Deutschen waren und sicher auch noch viel unmittelbarer die Rumänen.
Aber schließlich lässt Martens Burg zu Wort kommen. Und nun spricht, erzählt dieser alte Mann, der letzte Dichter der Bukowina Seite für Seite in einem unaufdringlichen, schlichten Parlando über sein Leben, dass man sich zurücklehnt und teilhat an einem Stück Literatur, dem letzten wahrscheinlich, das in Czernowitz in deutscher Sprache entsteht.
1912 in Wiznitz geboren, übersiedelt Burg in den Zwanzigern zusammen mit den Eltern nach Czernowitz in eine andere Welt, "auf einen anderen Planeten", veröffentlicht 1939 in Bukarest, einem "geistigen Zentrum des jüdischen Lebens", sein erstes Buch. 1935 beginnt er in Wien ein Germanistikstudium und schreibt für die "tschernowizer bleter", fühlt sich aber in der österreichischen Hauptstadt als Mensch zweiter Klasse. Nach dem "Anschluss" ist er in Prag. Die Emigration nach England misslingt. Er findet sich im rumänischen Czernowitz wieder und muss erfahren, dass man ihm während seiner Abwesenheit die Staatbürgerschaft entzogen hat. Für einen Dienst in der Armee aber taugt er allemal. "Ich meldete mich bei einem Offizier der rumänischen Armee und beschwerte mich. Warum ich als Staatenloser, der keine Rechte habe, in der Armee dienen solle? Der Offizier sagte: ´Stimmt, Rechte hast du keine. Aber Pflichten hast du!´."
Nach der Besetzung der Bukowina durch die Sowjets 1940 und ihrem Rückzug ein Jahr später verschlägt es ihn in die Wolgarepublik. Und das zu einem Zeitpunkt, als Stalin an den Menschen dort seine Straf- und Entvölkerungspolitik exekutiert und die Bewohner nach Sibirien schickt, auch die des kleinen Orts Rosendamm, wo Burg sich als Deutschlehrer verdingt. Allein bleibt er zurück am menschenleeren Ort, eine skurrile Situation ohnegleichen. Auf die Frage, was er denn gemacht habe in Rosendamm, nachdem sich die Bewohner gleichsam in Luft aufgelöst haben: "Nichts. Ich bin verrückt geworden!" 1959 kehrt er mit Frau und Tochter nach Czernowitz zurück, hat Schwierigkeiten mit der Aufenthaltsgenehmigung, wird als Schriftsteller ignoriert. Erst mit der Auflösung des Sowjetimperiums gelingt ihm die Anerkennung, auch über die Grenzen der neu entstandenen Ukraine hinaus.
Es steckt ein hohes Maß an poetischer Bescheidenheit, schlichter Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, beiläufigem Scharfblick und leiser Ironie in Burgs Einlassungen zu seinem Leben, und man bedauert - es sind nicht viel mehr als vierzig Seiten und sie taugen gerade einmal für einen Winterabend -, sie nach so kurzer Zeit wieder aus der Hand legen zu müssen. Ein verhaltener epischer Atem entströmt ihnen, etwas wie eine durch die abgründigen Klüfte seiner Biografie und Lebenserfahrung milde gestimmte Weisheit. Ohne Zweifel haben sie als autobiografisches Fundament das Zeug für ein Opus weit größeren Zuschnitts. Man stößt auf so unprätentiöse Sätze wie diesen: "Ich bin Jude, jüdischer Schriftsteller. Mein Jahrhundert hat mich als Menschen und Schriftsteller tragisch getroffen." Oder holzschnittartig über seinen Vater, der Flößer war auf dem Czeremosz: "Alle haben erzählt, die Umgebung hat erzählt. Die Natur, die Karpaten, die Bukowina haben zum Erzählen angeregt." Dann als Anwalt der osteuropäischen Juden und ihrer Sprache: "Die Ostjuden haben die jiddische Sprache gehabt - das war die Wand gegen die Assimilation. ... Das Ostjudentum hat das Judentum bewahrt. ... Es gibt keine jüdische Literatur in einer anderen Sprache [als der des Jiddischen oder Hebräischen]. ... Die Sprache ist das Entscheidende." Und zur aktuellen Situation des Antisemitismus in der Ukraine: "Czernowitz zeichnet sich in diesem Sinne durch eine gewisse Liberalität aus, die in der Tradition dieser Stadt begründet ist."
Die Frage, ob er sich als letzter Repräsentant einer vergangenen Welt, einer untergegangenen Kultur sehe, weist er zurück. So wolle er sich nicht sehen. "Ich will nicht der Letzte sein. Es gibt ein Sprichwort im Russischen: Eine Stunde zur Nacht ist noch nicht Nacht." Dass wir Josef Burg nicht vergessen und die Prioritäten unserer Lesegewohnheiten überdenken, zumindest was die Bukowina, diese europaferne Landschaft angeht, dazu trägt dieses Büchlein bei.
Josef Burg, Michael Martens. Irrfahrten. Ein ostjüdisches Leben. Gebunden, 63 Seiten. Winsen/Luhe 2000. ISBN: 3928788353. Amazon-Verkaufsrang 334.240. 11,50€
Ein junger Mensch, Michael Martens, nimmt sich im Februar 1998 des hochbetagten Josef Burg an und lässt diesen sich frei vorstellen, ohne dabei selbst ganz aus dem Schatten seiner Ambitionen zu treten. Ein junger Mensch, der seit Jahren auf dem eurasischen Kontinent herumfällt, in den Trümmern des versunkenen Sowjetreichs stöbert und sich dabei auch vor den barbarischen kontinentalen Wintern nicht fürchtet. Afghanistan, Pakistan, China, Tadschikistan, Usbekistan, Tatarstan und Karelien, Kiew, St. Petersburg, schließlich Czernowitz sind die Stationen einer erstaunlichen Erfahrungsreise.
Czernowitz im Handstreich erobern zu wollen, ist freilich ein wackeres Unterfangen. Da ist man ganz schnell mit Spucke und Hemdsärmel dabei, ein wenig Glanz und Struktur auf die Oberfläche zu bringen und vermag doch nicht zur eigentlichen Stadt, zur ihrer historischen und geistigen Emblematik durchdringen. Da wird etwa der Israelitische Tempel zur Synagoge, die 1908 vom Kaiser eröffnet wird und 1947 sowjetischen Sprengversuchen trotzt, eine sachlich-chronologisch nicht ganz ungefährliche Konstruktion. Oder Burg flieht 1940 vor den Nationalsozialisten, wo es doch ohne alle Verbrämung die Deutschen waren und sicher auch noch viel unmittelbarer die Rumänen.
Aber schließlich lässt Martens Burg zu Wort kommen. Und nun spricht, erzählt dieser alte Mann, der letzte Dichter der Bukowina Seite für Seite in einem unaufdringlichen, schlichten Parlando über sein Leben, dass man sich zurücklehnt und teilhat an einem Stück Literatur, dem letzten wahrscheinlich, das in Czernowitz in deutscher Sprache entsteht.
1912 in Wiznitz geboren, übersiedelt Burg in den Zwanzigern zusammen mit den Eltern nach Czernowitz in eine andere Welt, "auf einen anderen Planeten", veröffentlicht 1939 in Bukarest, einem "geistigen Zentrum des jüdischen Lebens", sein erstes Buch. 1935 beginnt er in Wien ein Germanistikstudium und schreibt für die "tschernowizer bleter", fühlt sich aber in der österreichischen Hauptstadt als Mensch zweiter Klasse. Nach dem "Anschluss" ist er in Prag. Die Emigration nach England misslingt. Er findet sich im rumänischen Czernowitz wieder und muss erfahren, dass man ihm während seiner Abwesenheit die Staatbürgerschaft entzogen hat. Für einen Dienst in der Armee aber taugt er allemal. "Ich meldete mich bei einem Offizier der rumänischen Armee und beschwerte mich. Warum ich als Staatenloser, der keine Rechte habe, in der Armee dienen solle? Der Offizier sagte: ´Stimmt, Rechte hast du keine. Aber Pflichten hast du!´."
Nach der Besetzung der Bukowina durch die Sowjets 1940 und ihrem Rückzug ein Jahr später verschlägt es ihn in die Wolgarepublik. Und das zu einem Zeitpunkt, als Stalin an den Menschen dort seine Straf- und Entvölkerungspolitik exekutiert und die Bewohner nach Sibirien schickt, auch die des kleinen Orts Rosendamm, wo Burg sich als Deutschlehrer verdingt. Allein bleibt er zurück am menschenleeren Ort, eine skurrile Situation ohnegleichen. Auf die Frage, was er denn gemacht habe in Rosendamm, nachdem sich die Bewohner gleichsam in Luft aufgelöst haben: "Nichts. Ich bin verrückt geworden!" 1959 kehrt er mit Frau und Tochter nach Czernowitz zurück, hat Schwierigkeiten mit der Aufenthaltsgenehmigung, wird als Schriftsteller ignoriert. Erst mit der Auflösung des Sowjetimperiums gelingt ihm die Anerkennung, auch über die Grenzen der neu entstandenen Ukraine hinaus.
Es steckt ein hohes Maß an poetischer Bescheidenheit, schlichter Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, beiläufigem Scharfblick und leiser Ironie in Burgs Einlassungen zu seinem Leben, und man bedauert - es sind nicht viel mehr als vierzig Seiten und sie taugen gerade einmal für einen Winterabend -, sie nach so kurzer Zeit wieder aus der Hand legen zu müssen. Ein verhaltener epischer Atem entströmt ihnen, etwas wie eine durch die abgründigen Klüfte seiner Biografie und Lebenserfahrung milde gestimmte Weisheit. Ohne Zweifel haben sie als autobiografisches Fundament das Zeug für ein Opus weit größeren Zuschnitts. Man stößt auf so unprätentiöse Sätze wie diesen: "Ich bin Jude, jüdischer Schriftsteller. Mein Jahrhundert hat mich als Menschen und Schriftsteller tragisch getroffen." Oder holzschnittartig über seinen Vater, der Flößer war auf dem Czeremosz: "Alle haben erzählt, die Umgebung hat erzählt. Die Natur, die Karpaten, die Bukowina haben zum Erzählen angeregt." Dann als Anwalt der osteuropäischen Juden und ihrer Sprache: "Die Ostjuden haben die jiddische Sprache gehabt - das war die Wand gegen die Assimilation. ... Das Ostjudentum hat das Judentum bewahrt. ... Es gibt keine jüdische Literatur in einer anderen Sprache [als der des Jiddischen oder Hebräischen]. ... Die Sprache ist das Entscheidende." Und zur aktuellen Situation des Antisemitismus in der Ukraine: "Czernowitz zeichnet sich in diesem Sinne durch eine gewisse Liberalität aus, die in der Tradition dieser Stadt begründet ist."
Die Frage, ob er sich als letzter Repräsentant einer vergangenen Welt, einer untergegangenen Kultur sehe, weist er zurück. So wolle er sich nicht sehen. "Ich will nicht der Letzte sein. Es gibt ein Sprichwort im Russischen: Eine Stunde zur Nacht ist noch nicht Nacht." Dass wir Josef Burg nicht vergessen und die Prioritäten unserer Lesegewohnheiten überdenken, zumindest was die Bukowina, diese europaferne Landschaft angeht, dazu trägt dieses Büchlein bei.
Josef Burg, Michael Martens. Irrfahrten. Ein ostjüdisches Leben. Gebunden, 63 Seiten. Winsen/Luhe 2000. ISBN: 3928788353. Amazon-Verkaufsrang 334.240. 11,50€