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Editorial zum Bukowina-Heft I
"Die Landschaft, aus der ich ... zu Ihnen komme, dürfte den meisten von Ihnen unbekannt sein", sagte Paul Celan einst, als er für die Verleihung eines Literaturpreises zu danken hatte. Inzwischen ist nicht nur Celan, sondern auch Rose Ausländer zu literarischem Ruhm gelangt, bemüht sich eine eigene Gesellschaft um den Lyriker Alfred Gong, sammeln Südosteuropa-Institute eifrig die Spuren einer "versunkenen" Kultur, sind eine ganze Reihe von wichtigen Werken zur deutschsprachigen Dichtung der Bukowina erschienen (so 1990 "Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft", hg. von Dietmar Goltschnigg und Anton Schwob, 1993 "In der Sprache der Mörder", hg. von Ernest Wichner und Herbert Wiesner, 1994 die große Anthologie "Versunkene Dichtung der Bukowina", hg. von Amy Colin und Alfred Kittner). Die Dichtungen von Josef Burg, Leo Katz, Alfred Kittner, Moses Rosenkranz, Immanuel Weissglas und vieler anderer wurden zumindest zum Teil in Neuausgaben wieder zugänglich gemacht, und auch einige AutorInnen, die die Bukowina schon früh, meist zum Studium in Wien, verlassen hatten, wie Erwin Chargaff und Walther Rode, haben vermehrtes Interesse gefunden. Forschungen auf dem Gebiet der jiddischen Literatur sind im Gange (so werden das Institut für Germanistik an der Universität Salzburg und die Theodor Kramer Gesellschaft im Frühjahr 2001 ein Symposion über jiddische Literatur veranstalten), was sich auch in den Beiträgen von Armin Eidherr und Gabriele Kohlbauer-Fritz über Elieser Steinbarg und Itzig Manger im vorliegenden Heft widerspiegelt. Zu Wort gemeldet haben sich auch die Überlebenden der Verfolgung und der Lager mit ihren dem Vergessen und dem Schmerz abgetrotzten Erinnerungen an ihr eigenes Schicksal und der ihnen Nahestehenden (unter ihnen Margit Bartfeld-Feller, Sidi Gross, Prive Friedjung, Josef N. Rudel, Dorothea Sella, Edith Silbermann); das Entstehen ihrer Bücher wurde sicher dadurch erleichtert, dass die Bukowina nun nicht mehr als ein zufälliges, provinzielles, historisch ungültiges Gebilde angesehen wird, eine "Landschaft" eben, wie Celan einst sagen musste.
Die historische Bukowina, deren Untergang als ein "Viersprachenland" (Ukrainisch, Rumänisch, Deutsch, Jiddisch) mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion und dem damit einhergehenden Vernichtungsfeldzug gegen die jüdische Bevölkerung Ost- und Südosteuropas besiegelt wurde, wird heute auch im Zusammenhang einer Neubewertung der Sprach- und Nationalitätenpolitik des späten Habsburgerreichs anders gesehen. An die Stelle des notorischen Geredes vom "kranken Mann an der Donau" (der allenfalls dem "kranken Mann am Bosporus" die Hand reichen konnte und dessen Verschwinden von der politischen Landkarte unvermeidlich war) ist sogar ein gewisser Respekt für die Leistungen der österreichischen Verwaltung und Bildungseinrichtungen getreten. Für Forscherinnen und Forscher, die sich besonders für die jüdischen Aspekte der österreichischen Geschichte interessieren, haben sich die Schwerpunkte verlagert: S ie sehen zumindest die cisleithanische Reichshälfte des Habsburgerreiches seit dem Staatsgrundgesetz von 18
67 nicht mehr so sehr als ein Hindernis für einen Fortschritt (dessen man sich auch nicht mehr so sicher ist), sondern als einen historischen Lebensraum, in dem sich auch die weiterhin unterprivilegierte jüdische Minderheit einigermaßen frei bewegen und entfalten konnte und im allgemeinen vor antisemitischen Verfolgungen geschützt war. Dass dasselbe Österreich gleichzeitig eine Brutstätte völkisch-nationaler, irrationalistischer Ideologien war, wird von diesen ForscherInnen nicht übersehen und stellt ein heilsames Korrektiv gegen eine Erneuerung des "habsburgischen Mythos" dar, den Claudio Magris 1966 noch als den Knoten beschrieb, ab dem sich die österreichische Literatur nach 1918 zerrieben habe. Vielleicht ist heute ein kleiner "Bukowina-Mythos" im Entstehen, eine Idyllisierung des friedlichen Zusammenlebens der Menschen im "Buchenland", die gleich auch die Periode der rumänischen Herrschaft (1918 - 40, Siegmund La st beschreibt die Zeit in seinem Roman "Die letzten Juden" ) mit einschließt und in die der Zweite Weltkrieg dann wie eine Naturkatastrophe von außen einbricht. Eine zu weit gehende Idyllisierung würde die Bukowina gleich wieder von der Geschichte abkoppeln, als deren gültiger Schauplatz sie eben erst wahrgenommen wurde.
Wir danken Cécile Cordon, die für den Bukowina-Schwerpunkt in diesem Heft verantwortlich ist (mit Unterstützung des Kulturkreises Mexikoplatz, den man auch, mit gutem Recht, "Vielvölkerplatz" nennen könnte). Das vorliegende Heft ist das umfangreichste MdZ- bzw. ZW-Heft, das je erschienen ist. Trotzdem mussten eine ganze Reihe von Beiträgen, die für dieses Heft vorgesehen waren, auf die nächste Nummer im Oktober verschoben werden, die dadurch zu einer zweiten Bukowina-Nummer wird. (Es handelt sich u.a. um Beiträge von Evelyn Adunka, Jakob Allerhand, Helmut Braun, Andrei Corbea-Hoisie, Cécile Cordon, Hannes Hofbauer, Primus-Heinz Kucher, Josef N. Rudel, Peter Rychlo; aber auch andere, nicht zum Bukowina-Schwerpunkt gehörige Beiträge mussten verschoben werden.) Das von Marcus G. Patka und Michael Philipp vorbereitete Schwerpunktheft über Exil in Schanghai und in China kann daher erst als Nr. 4/2000 im Dezember erscheinen.
In "Viersprachenland am Pruth - Bukowina I" sind die Beiträge gesammelt, die sich mit der geschichtlichen und kulturellen Entwicklung bis etwa 1940 beschäftigen, während Bukowina II auf die Kriegsjahre und die Zeit danach, auf Verfolgung und Exil und die heutige Situation eingehen wird. Die Erinnerungen Josef Kinsbrunners stellen hier bereits eine Überleitung dar. Im nächsten Heft werden wir auch von jenen Aktivitäten berichten, die aus der Sorge um die Entwicklung Österreichs von Freunden unserer Zeitschrift in Argentinien, Frankreich, Kärnten unternommen wurden. Der Beitrag von Inge Hansen-Schaberg in diesem Heft über Ernst Papanek und sein Engagement für Flüchtlingskinder in Frankreich hat in einem Land, wo derzeit 800 Jugendliche von Schubhaft bedroht sind und 2.000 illegal ohne Papiere leben, einige Aktualität.
Gegen unsere Gewohnheit liegt einem Teil der Auflage dieses Heftes ein Zahlschein der Theodor Kramer Gesellschaft bei, die ja die finanzielle Verantwortung für Zwischenwelt trägt. Wir bitten die Minderheit jener, die einige Hefte unserer Zeitschrift unentgeltlich bezogen haben, zu prüfen, ob sie nicht ein Abonnement riskieren können. Unsere zahlenden Abonnentinnen und Abonnenten, die überwältigende Mehrheit, jedoch bitten wir zu prüfen, ob sie das Abonnement 2000 schon bezahlt haben, oder ob nicht eine kleine Spende möglich ist, die die Differenz zwischen einem "normalen" Heft und einem Doppelheft (bei dem die AbonnentInnen einen Teil des Heftes ja geschenkt bekommen) ausgleicht.
Nicht Geldgier sondern dessen Mangel diktiert uns diesen frommen Wunsch an die LeserInnen und Leser. Wie an anderer Stelle ausgeführt, werden von den öffentlichen Stellen unsere finanziellen Spielräume, die schon bislang einige Verrenkungen erforderten, wieder eingeengt. Versprochene Zuwendungen, ohnehin gekürzt, treffen nicht ein. Wir aber wollen unsere Arbeit fortsetzen.
Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser