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Czernowitz en gros und en détail
Eine literarisch-historische Expedition ins «Viersprachenland am Pruth - Bukowina» unternimmt die Wiener Zeitschrift «Zwischenwelt» (die bis vor kurzem noch unter dem Titel «Mit der Ziehharmonika» erschien). Das Material zu Literatur und Leben an der nordöstlichen Peripherie der Habsburgermonarchie füllt nun gleich zwei Ausgaben des auf Exilliteratur spezialisierten Periodikums. Konzise historische Beiträge erläutern die Entwicklung des Provinzstädtchens Czernowitz zum Schauplatz einer urbanen, weitgehend an Wien orientierten literarischen Kultur (Hannes Hofbauer, Mariana Hausleitner u.a.). Dass viele der meist jüdischen «Buko-Wiener» für ihr Schaffen das Deutsche auserkoren, hinderte nicht die Entfaltung einer vielgestaltigen jiddischen Literatur, welche bislang spärlich übersetzt und punktuell erschl ossen worden ist. Essays zu und Textproben von dem 1912 geborenen Prosaisten Josef Burg, dem sozialkritischen «Bänkelsänger» Itzig Manger (1901-1969), dem Fabeldichter Elieser Steinbarg (1880-1932) zeugen von ei
ner sehr «mündlich» geprägten Kultur.
Wie stark indes die heute berühmte deutschsprachige Dichtung Paul Celans, Alfred Margul- Sperbers, Alfred Gongs oder Rose Ausländers von - oft landschaftlichen und ruralen - ukrainischen Motiven durchwirkt ist, erläutert der anregende Beitrag des Czernowitzer Literaturdozenten Peter Rychlo. Wenig bekannt dürften auch die rumänischen Sprachspiele sein, mit welchen Paul Celan während seiner Bukarester Zeit kurz nach dem Krieg experimentierte: In keiner seiner anderen Sprachen hat der Dichter später Ähnliches wiederholt (Heinrich Stiehler). Selbstredend beansprucht der Holocaust einen breiten Raum, doch bemüht man sich sichtlich, weniger bekannte Aspekte der von den Rumänen, den Deutschen und den Russen an der einheimischen Bevölkerung verübten Verbrechen hervorzuheben: Das Schicksal der Roma in den berüchtigten «Arbeitslagern» Transnistriens illustriert den schmutzigen Alltag des Völkermords auf eindrückliche Weis e (Brigitte Mihok). Dass ein Besuch bei der mittlerweile in Wort und Film als «Frau Zuckermann» ber
ühmten Zeitzeugin Rosa Roth-Zuckermann keine überraschenden Enthüllungen zeitigt, wird freilich niemand von der 92-jährigen Czernowitzerin erwarten, die sich schelmisch eine «monarchistische Kommunistin» nennt.
Christiane Zintzen
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 22. Januar 2001