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Othmar Andrée
Ein Plädoyer für Czernowitz/Bukowina
"Kaum eine Stadt ist so versunken wie Czernowitz", so der Publizist Helmut Böttiger in seinem 1996 erschienenen Band Orte Paul Celans. "[...] Diese versunkene Welt ist vor allem eine Welt der Kultur, mit einer eigenen, verschwundenen Identität."
Bei aller Unversehrtheit und Originalität des urbanen Organismus, den uns Böttiger als Ausgangspunkt seiner Erkundungen über Paul Celan vorstellt und dessen gegenwärtiges Erscheinungsbild einem gelegentlich die Sprache verschlägt, ist dies ein Umstand, der sich der Wahrnehmung durch den Besucher aus dem Westen nicht sofort erschließt. Der Tourist sieht vielleicht nur die intakte Stadt und das grüne Land. Und doch offenbaren sich bei näherem Hinsehen die Zerstörungen und Veränderungen, die Metamorphosen, die über die Bukowina und ihre Kapitale Czernowitz gekommen sind - ausgelöst durch Zweiten Weltkrieg und fünfzig Jahre Sowjetismus, durch Verfolgung, Vertreibung und Ermordung eines Teils ihrer Bevölkerung -, immer wieder als fundamentales Verhängnis. Sie sind geprägt von tiefer menschlicher Tragik und führen die verblasste Handschrift einer historischen Katastrophe. Voller Widersprüche, tragen sie die Merkmale abgründiger gesellschaftlich-sozialer Verwerfungen in sich. An ihnen lassen sich die Kennlinien vom Schicksal Europas ablesen, auch wenn dies mit dem Kanon, durch den sich das kollektive Gedächtnis eines Landes, das Bewusstsein seiner Bevölkerung organisiert, nicht gleich zu setzen und allemal nicht komplettiert ist.
Niemand weiß genau, was die rumänischen, die russischen, die ukrainischen, nicht zuletzt die Archive in Israel für die Forschung bereit halten, gar vorenthalten. Niemand ahnt, was in den einstigen bukowinischen Hauptstädten, in Moskau und Bukarest an Akten und Material, an historischen Quellen und Belegen schlummert; auf was man in Kiew, am Ende im Archiv der Stadt Czernowitz selber, stoßen wird. Wer ist nicht geneigt, den immensen Reichtum an historischen Zeugnissen und Schätzen auf den Friedhöfen des Landes, in den Straßen der Städte und Städtchen mit Staunen zur Kenntnis zu nehmen, die alle Wirrsal und Vernichtung unseres Jahrhunderts überstanden haben?
Nur wer aus einem Land kommt wie dem unseren, dem deutschen, dessen kulturelle Substanz lange schon vor den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs schwer bedroht war und schließlich einer Vernichtung ohnegleichen anheim fiel, und in dem jener nicht selten klägliche Kulturrest in den Jahrzehnten wirtschaftlicher Prosperität und verbreiteten Wohlstands mehr an Auszehrung gelitten und Schaden genommen hat, als zu seinem Vorteil gereichte, dem öffnet sich die Schatzkammer Bukowina immer wieder zu seinem eigenen Erstaunen.
Natürlich werden in der Bukowina jüdische Friedhöfe geschändet, wo nicht?, weiden Ziegen auf ihnen, nutzt man sie als Lagerplatz und Baustelle. Natürlich bröckelt der Putz an den Fassaden der Gebäude und allenthalben im ganzen Land, unübersehbar übrigens in Czernowitz. Aber die Stadt verfügt über eine intakte Topografie, strahlt in einem atemberaubenden Maß den verblichenen Glanz einer k.k.-Metropole und stellt das dar, was in unserer Zeit zu den kunsthistorischen Raritäten zählt: ein ramponiertes zwar, bei allem Verschleiß aber durch jahrzehntelange Nutzung und Abnutzung komplettes, gleichsam konserviertes Gesamtkunstwerk.
Bei aller Unversehrtheit und Originalität des urbanen Organismus, den uns Böttiger als Ausgangspunkt seiner Erkundungen über Paul Celan vorstellt und dessen gegenwärtiges Erscheinungsbild einem gelegentlich die Sprache verschlägt, ist dies ein Umstand, der sich der Wahrnehmung durch den Besucher aus dem Westen nicht sofort erschließt. Der Tourist sieht vielleicht nur die intakte Stadt und das grüne Land. Und doch offenbaren sich bei näherem Hinsehen die Zerstörungen und Veränderungen, die Metamorphosen, die über die Bukowina und ihre Kapitale Czernowitz gekommen sind - ausgelöst durch Zweiten Weltkrieg und fünfzig Jahre Sowjetismus, durch Verfolgung, Vertreibung und Ermordung eines Teils ihrer Bevölkerung -, immer wieder als fundamentales Verhängnis. Sie sind geprägt von tiefer menschlicher Tragik und führen die verblasste Handschrift einer historischen Katastrophe. Voller Widersprüche, tragen sie die Merkmale abgründiger gesellschaftlich-sozialer Verwerfungen in sich. An ihnen lassen sich die Kennlinien vom Schicksal Europas ablesen, auch wenn dies mit dem Kanon, durch den sich das kollektive Gedächtnis eines Landes, das Bewusstsein seiner Bevölkerung organisiert, nicht gleich zu setzen und allemal nicht komplettiert ist.
Niemand weiß genau, was die rumänischen, die russischen, die ukrainischen, nicht zuletzt die Archive in Israel für die Forschung bereit halten, gar vorenthalten. Niemand ahnt, was in den einstigen bukowinischen Hauptstädten, in Moskau und Bukarest an Akten und Material, an historischen Quellen und Belegen schlummert; auf was man in Kiew, am Ende im Archiv der Stadt Czernowitz selber, stoßen wird. Wer ist nicht geneigt, den immensen Reichtum an historischen Zeugnissen und Schätzen auf den Friedhöfen des Landes, in den Straßen der Städte und Städtchen mit Staunen zur Kenntnis zu nehmen, die alle Wirrsal und Vernichtung unseres Jahrhunderts überstanden haben?
Nur wer aus einem Land kommt wie dem unseren, dem deutschen, dessen kulturelle Substanz lange schon vor den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs schwer bedroht war und schließlich einer Vernichtung ohnegleichen anheim fiel, und in dem jener nicht selten klägliche Kulturrest in den Jahrzehnten wirtschaftlicher Prosperität und verbreiteten Wohlstands mehr an Auszehrung gelitten und Schaden genommen hat, als zu seinem Vorteil gereichte, dem öffnet sich die Schatzkammer Bukowina immer wieder zu seinem eigenen Erstaunen.
Natürlich werden in der Bukowina jüdische Friedhöfe geschändet, wo nicht?, weiden Ziegen auf ihnen, nutzt man sie als Lagerplatz und Baustelle. Natürlich bröckelt der Putz an den Fassaden der Gebäude und allenthalben im ganzen Land, unübersehbar übrigens in Czernowitz. Aber die Stadt verfügt über eine intakte Topografie, strahlt in einem atemberaubenden Maß den verblichenen Glanz einer k.k.-Metropole und stellt das dar, was in unserer Zeit zu den kunsthistorischen Raritäten zählt: ein ramponiertes zwar, bei allem Verschleiß aber durch jahrzehntelange Nutzung und Abnutzung komplettes, gleichsam konserviertes Gesamtkunstwerk.