Czernowitz Bukowina - Wo Menschen und Bücher lebten

 

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Othmar Andrée

Herr Zwilling und Frau Zuckermann

Volker Koepp, Regisseur und Filmschaffender aus Berlin, der uns vielleicht von seinen Filmepen über die Werktätigen in der verblichenen DDR, in Wittstock vor allem, vertraut ist, hat zusammen mit seinem Kameramann Thomas Plenert einen Film geschaffen, der uns das Portrait zweier alter Menschen aus der Ukraine vorstellt, deutschsprachige Juden aus Czernowitz, Hauptstadt des einst österreichischen Kronlandes Bukowina, heute Westukraine. Ein erfreuliches, ja, erstaunliches Kinoerlebnis. Erstmals vorgestellt im Rahmen der Berlinale 1999 und des Internationalen Forums des Jungen Films, war der Streifen Anfang Juni 1999 in der Berliner Akademie der Künste zu sehen.

Sensibel seinem Erzählobjekt verbunden, voller Witz, Ironie und hintergründigem Humor, und doch in tiefer Würdigung des Grauens, der Verschleppung nämlich, der Vertreibung und des tausendfachen Mordes an den Bukowiner Juden, das in seinen Bildern durchscheint, trotz des zermürbenden Alltags und der bitteren Armut in der heutigen Ukraine hat Koepp uns mit seinem Film alle in den Bann geschlagen. Dieses Werk ist eine "einzigartige und unsagbar bestürzende Entdeckung" (Hans-Jörg Rother, FAZ), ein document humain, ein Abbild des Lebens von ein paar wenigen Menschen in einem "oblast", einem Bezirk am äußersten Rande des aufgelösten Sowjetreiches und zugleich der Versuch, die tiefe Tragik dieser Landschaft und der in ihr beheimateten Menschen auszuloten. Wir alle der Bukowina auf vielfältige Weise Verbundenen schulden Volker Koepp für dieses Werk großen Dank!

Letztlich unerheblich, dass Koepp aus dem Medium Film heraus der Gegenwart aufsitzt, dass er etwas Jiddisch-Pittoreskes sucht, es ausleuchten und sich gern davon verführen lassen möchte, wo es ihm vermutlich um den Geist der Stadt geht, um das spezifisch Altösterreichische, Deutsch-Jüdische, Jüdisch-Deutsche. Dem Phänomen der Stadt, dem, was Czernowitz im Widerspruch zu seiner bescheidenen Größe einen unvergleichlichen Rang in der europäischen Gedächtniskultur gesichert hat und "posthum" zu einem Topos der Weltliteratur hat werden lassen, kann er jedenfalls mit seinem Film so ohne weiteres nicht gerecht werden.

Und doch tut er es, gleichsam nebenbei, unbeabsichtigt, eingesponnen in und von seiner Arbeit, in der die beiden alten Menschen, die das eigentliche Thema seines Films sind, mehr als ausführlich zu Wort kommen lässt. Sie sind es, die ihm sagen, "wo es hinauswollte" mit ihnen und mit der Stadt. Denn dieses Czernowitz war "eine jüdische Stadt deutscher Sprache", wie sie der Celan-Biograf Israel Chalfen einmal charakterisiert hat, "Heimstätte jüdisch-deutscher Symbiose" und der Ort eines einzigartigen kulturellen und zivilisatorischen Aufbruchs.

Nicht die Klesmorim stehen für Czernowitz - ihr Spiel leitet den Film ein, viele alte Czernowitzer wären über die angedeutete Parallele zu ihrem Selbstverständnis mit Sicherheit zutiefst entrüstet, - nicht diese repräsentieren die große Vergangenheit der Stadt und ihren hohen zivilisatorischen Standard, die im Film auch gar nicht waren, was sie vielleicht darstellen sollten, jüdische Klesmorim nämlich, wohl eher rumänische Zigeuner, und bei Licht besehen auch nicht die ukrainischen Bauern, die uns bei ihrer Feldarbeit vorgestellt werden. Czernowitz, dieses Czernowitz, das wir alle meinen, wenn wir von ihm sprechen, war auch nicht das, was uns der Titel eines im Übrigen erstaunlichen Bandes mit Überlebensberichten vermitteln will, der 1998 synchron in Berlin und Czernowitz erschienen ist: "... an alte jidische Schtot". Nicht die Zeitgenossen aus der Umgebung Herrn Zwillings und Frau Zuckermanns stehen für die Einzigartigkeit und Unwiederholbar keit dieses urbanen Wesens, das eingebettet lag in seine habsburgische Provinz, wenn sie sich auch zu seinen Bürgern zählten.

Für das besondere, unverwechselbare, das Czernowitz eignet, steht eine Einwohnerschaft, die im Schatten der Zerstörungen und Vernichtungsfeldzüge der beiden großen Kriege des Zwanzigsten Jahrhunderts verschwunden ist, dieser Landschaft abhanden gekommen, die aber dort einmal ihre Heimat gefunden und keine geringen Anstrengungen unternommen hatte, sich auf schwierigem Terrain ein hohes Niveau an Rechtsstaatlichkeit und zivilisatorischem Denken anzueignen. Czernowitz war eine Stadt in einer Provinz, in der man sich nach Kräften um den ethnisch-nationalen Ausgleich bemühte, wenigstens so gut, wie das seinerzeit überhaupt funktionieren konnte und wie dies für die Monarchie absolut keine Selbstverständlichkeit war, schon gar nicht für die national-imperiale Nachbarschaft, in der sie eingebettet lag. "Czernowitz war eine recht moderne Insel in einem Meer von Rückständigkeit", umschreibt die Historikerin Mariana Hausleitner die Situation. Die geschichtlichen Wirkmechanismen, die die beiden alten Menschen in einer anderen als der Sprache ihrer Umgebung von Rilke und Heine reden lassen, die historischen Abgründe und Klüfte auszuleuchten, kann aber der Film, der so tief dem Bild, dem Visuellen, dem Augenschein verhaftet ist, nicht leisten.


 


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