Inhalt
Buchvorstellung
Übersetzungen sind eine heikle Angelegenheit. Sie sind es vor allem dann, wenn sie auf Umwegen in den Sprachraum zurückkehren, aus dem sie ihre geistigen Wurzeln ziehen. David Sha´ari in der Übersetzung von Klaus Billig liefert für diese These den besten Beweis. Da gehen nicht nur die Namen wie Kraut und Rüben durcheinander, da werden auch Orthodoxe zu Ultraorthodoxen, als ginge es darum, den Proporz und die politische Balance in der aktuellen Parteienlandschaft des heutigen Israel sichtbar zu machen. Rabbiner und Oberrabbiner werden zu Rabbis und Oberrabbis, Bezeichnungen, wie sie für den Begriffsraum des modernen Rabbinats schon lange nicht mehr taugen. Das rumänische Regat zeigt sich im Gewand eines alten Königreichs. Dr. Josef Fechner, der erste Vizebürgermeister der Stadt wird zu Joseph Fachner, Elieser Steinbarg schlicht zu Eliezer Steinberg; Responsen werden zu Antworten, der Wiener Reichrat (Herrenhaus und Abgeordnetenhaus) zum Reichstag. Zumindest für den Übersetzer wäre es ein doch Leichtes gewesen, die große Arbeit N. M. Gelbers in Hugo Golds Geschichte der Juden in der Bukowina zur Hand zu nehmen und anhand dieser Darstellung erst einmal selbst ein wenig zu lektorieren; allemal besser als frisch und fröhlich in Raum hinein übersetzt.
Der Niedergang des polnischen Bevölkerungskomplements, auch davon erfahren wir in diesem Band in einer Arbeit von Kazimierz Feleszko, Warschau, vollzog sich in mehreren historischen Etappen. Nachdem die Czernowitzer Polen vor dem Ersten Weltkrieg (1910) mit einem Anteil von nahezu 15.000 Personen glänzten und über ein hohes Niveau an Bildung und Selbstbewusstsein verfügten, sich mit einem ansehnlichen Nationalgebäude und einer stattlichen Bibliothek kulturell behaupten konnten, setzte mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Dämmerung der organisatorischen und zahlenmäßigen Präsenz der Polen in Czernowitz ein. Junge Männer vor allem wurden zur kaiserlichen Armee einberufen und Beamte innerhalb des Reichs versetzt. Einen Aderlass viel größeren Ausmaßes aber erreichte 1919 der Bevölkerungsschwund mit der Eingliederung der Bukowina in das rumänische Königreich. Zugleich mit dem nationalen Aufbruch in Polen selbst sank die Zahl der Polen in Czernowitz um fast 40 Prozent. Mit der Einführung des Rumänischen 1922 als einziger Unterrichtssprache an öffentlichen Schulen, der Verstaatlichung aller Privatschulen und der Versetzung nichtrumänischer Lehrer ins Regat wanderten fast alle polnischen Lehrer nach Polen aus. 1930 betrug die Zahl der Polen in der Stadt deutlich weniger als 10.000. Im Zuge der Besetzung Polens durch deutsche Truppen 1939, des Einmarschs der Sowjets in die Nordbukowina im Juni 1940 und der Rückeroberung der sowjetisch besetzten Gebiete durch Rumänien 1941 - Polen wurden jetzt in die rumänische Armee eingezogen und kämpften in der Ukraine und auf der Krim -, verminderte sich bis August 1941 die Zahl der Czernowitzer Polen auf dreieinhalb Tausend. Nach der Besetzung der Bukowina durch die Rote Armee Ende März 1944 wurden die Reste der hier noch lebenden Intelligenz ... nach Sibirien in die Lager oder zur Zwangsarbeit ... deportiert. Junge Männer, insgesamt waren es über zweitausend, wurden zur sowjetischen Armee eingezogen.
Das letzte Kapitel der Bukowiner Polen begann im Frühjahr 1945 mit der Formierung von Transporten für Zwangs- und freiwillige polnische Aussiedler aus der Bukowina durch die Sowjets. Zwischen März 1945 und Juni 1946 betraf das über 8000 Menschen. Bedauerlicherweise baut Feleszko nicht mehr als dieses dürre Zahlengerüst vor uns auf. Gerne hätten wir gewusst, ob diese von den Sowjets organisierte Aussiedlung als der klassische Fall einer Vertreibung mit all ihren Schrecknissen einzustufen ist oder ob es sich um einen im sudetendeutschen Diskurs gelegentlich mit dem tschechischen Wort odsun (Aussiedlung) bedachten Vorgang gehandelt hat. Und nicht unwichtig wäre an dieser Stelle zu wissen, mit welchem Ressentiment die Polen von heute diesen Vorgängen aus der Nachkriegszeit begegnen.
Was uns Harald Heppner mit diesem Band präsentiert, das ist ein Bündel von Beiträgen, deren Autoren, die meisten Historiker, sich jeweils ihrer eigenen Nation verpflichtet haben. Jeder reitet unbeirrt das nationale Ross. Gelegentlich schaut er dabei über den eigenen Zaun und jagt in fremdem Revier, was seiner Arbeit nicht immer gut bekommt. Aber mehr ist derzeit nicht zu haben. Wir sollten Harald Heppner dafür dankbar sein. Sein Bemühen galt der Schwierigkeit, einer vielstimmigen Landschaft einen ebenso vielstimmigen Forschungsbeitrag an die Seite zu stellen. Das ist für die Bukowina eigentlich unabdingbar, wurde aber bisher allenfalls im Rahmen der Publizistik einiger Fachzeitschriften praktiziert.
Nach der Lektüre des Bandes bleibt nicht viel vom Mythos der Bukowina, von der Magie einer ungewöhnlichen Stadt, deren Existenz, auch wenn sie längst Vergangenheit ist, uns der Titel verheißt. Man fragt sich vielleicht, warum Czernowitz – vor allem in den letzten Jahren und mit zunehmender Tendenz - ins Zentrum unseres Interesses rückt. Das ist nämlich zweifelsfrei zu beobachten, aber aus Heppners Buch schöpfen wir keine Erklärung für diesen Umstand, eher aus der Tatsache, dass der Verlag Böhlau das Erscheinen des Bandes für wichtig erachtet. Heppners Material kann den – sicher nicht fachhistorischen - Annäherungen an eine Landschaft, wie sie uns Israel Chalfen (Paul Celan. Eine Biografie seiner Jugend) vorstellt, nicht das Wasser reichen und sie kommen nicht an die Würfe eines Klaus Werner (Fäden ins Nichts gespannt) oder Andrei Corbea-Hoisie (Czernowitz. Jüdisches Städtebild) heran, deren einleitende Essays auch ein gutes Stück Literatur selber darstellen.
Vielleicht ist das ja das Kreuz aller Historiografie: Sie recherchiert so gründlich, dass ihr der Zauberstab, den es zur geistigen Auferstehung, zur Konturierung des Charakters und Profils einer geschichtlichen Landschaft oder Epoche bedarf, zum spitzen Bleistift missrät. War die Bukowina, so fragen wir uns nach der Lektüre, denn nicht eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten? War denn die Stadt unter Obhut und Schutz der habsburgischen Monarchie nicht ein Konstrukt durchaus rechtschaffener Bürgerlichkeit, ein Hort der Rechtssicherheit, der Toleranz und des ethnisch-nationalen Einvernehmens unter der Ägide der deutschen Sprache? Und all dies nicht gegen, sondern mit den Juden? Bemühte man sich in der Bukowina denn nicht nach Kräften um den nationalen Ausgleich, wie dies für die Monarchie absolut keine Selbstverständlichkeit war, am wenigsten für die staatlich-imperiale Nachbarschaft, in der sie eingebettet lag? War sie nicht eine recht moderne Insel in einem Meer von Rückständigkeit, wie es die Historikerin Mariana Hausleitner kürzlich umschrieben hat? Wo finden wir bei Heppner das spezifisch Altösterreichische, Deutsch-Jüdische, Jüdisch-Deutsche, wo weht uns in diesem Buch der Geist der Stadt an?
Wenn wir gehofft hatten, wir würden in den Beiträgen dem Phänomen Czernowitz auf die Spur kommen, dem, was ihm im Widerspruch zu seiner bescheidenen Größe einen unvergleichlichen Rang in der europäischen und jüdischen Gedächtniskultur gesichert und posthum zu einem Topos der Weltliteratur und Paradigma für das menschliche Miteinander hat werden lassen, bleiben wir enttäuscht zurück.
Harald Heppner (Hrsg.) Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Böhlau Verlag Köln. 2000. 225 Seiten, ISBN 3-41204-90-0X. Gebunden. 24,50 €
Der Niedergang des polnischen Bevölkerungskomplements, auch davon erfahren wir in diesem Band in einer Arbeit von Kazimierz Feleszko, Warschau, vollzog sich in mehreren historischen Etappen. Nachdem die Czernowitzer Polen vor dem Ersten Weltkrieg (1910) mit einem Anteil von nahezu 15.000 Personen glänzten und über ein hohes Niveau an Bildung und Selbstbewusstsein verfügten, sich mit einem ansehnlichen Nationalgebäude und einer stattlichen Bibliothek kulturell behaupten konnten, setzte mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Dämmerung der organisatorischen und zahlenmäßigen Präsenz der Polen in Czernowitz ein. Junge Männer vor allem wurden zur kaiserlichen Armee einberufen und Beamte innerhalb des Reichs versetzt. Einen Aderlass viel größeren Ausmaßes aber erreichte 1919 der Bevölkerungsschwund mit der Eingliederung der Bukowina in das rumänische Königreich. Zugleich mit dem nationalen Aufbruch in Polen selbst sank die Zahl der Polen in Czernowitz um fast 40 Prozent. Mit der Einführung des Rumänischen 1922 als einziger Unterrichtssprache an öffentlichen Schulen, der Verstaatlichung aller Privatschulen und der Versetzung nichtrumänischer Lehrer ins Regat wanderten fast alle polnischen Lehrer nach Polen aus. 1930 betrug die Zahl der Polen in der Stadt deutlich weniger als 10.000. Im Zuge der Besetzung Polens durch deutsche Truppen 1939, des Einmarschs der Sowjets in die Nordbukowina im Juni 1940 und der Rückeroberung der sowjetisch besetzten Gebiete durch Rumänien 1941 - Polen wurden jetzt in die rumänische Armee eingezogen und kämpften in der Ukraine und auf der Krim -, verminderte sich bis August 1941 die Zahl der Czernowitzer Polen auf dreieinhalb Tausend. Nach der Besetzung der Bukowina durch die Rote Armee Ende März 1944 wurden die Reste der hier noch lebenden Intelligenz ... nach Sibirien in die Lager oder zur Zwangsarbeit ... deportiert. Junge Männer, insgesamt waren es über zweitausend, wurden zur sowjetischen Armee eingezogen.
Das letzte Kapitel der Bukowiner Polen begann im Frühjahr 1945 mit der Formierung von Transporten für Zwangs- und freiwillige polnische Aussiedler aus der Bukowina durch die Sowjets. Zwischen März 1945 und Juni 1946 betraf das über 8000 Menschen. Bedauerlicherweise baut Feleszko nicht mehr als dieses dürre Zahlengerüst vor uns auf. Gerne hätten wir gewusst, ob diese von den Sowjets organisierte Aussiedlung als der klassische Fall einer Vertreibung mit all ihren Schrecknissen einzustufen ist oder ob es sich um einen im sudetendeutschen Diskurs gelegentlich mit dem tschechischen Wort odsun (Aussiedlung) bedachten Vorgang gehandelt hat. Und nicht unwichtig wäre an dieser Stelle zu wissen, mit welchem Ressentiment die Polen von heute diesen Vorgängen aus der Nachkriegszeit begegnen.
Was uns Harald Heppner mit diesem Band präsentiert, das ist ein Bündel von Beiträgen, deren Autoren, die meisten Historiker, sich jeweils ihrer eigenen Nation verpflichtet haben. Jeder reitet unbeirrt das nationale Ross. Gelegentlich schaut er dabei über den eigenen Zaun und jagt in fremdem Revier, was seiner Arbeit nicht immer gut bekommt. Aber mehr ist derzeit nicht zu haben. Wir sollten Harald Heppner dafür dankbar sein. Sein Bemühen galt der Schwierigkeit, einer vielstimmigen Landschaft einen ebenso vielstimmigen Forschungsbeitrag an die Seite zu stellen. Das ist für die Bukowina eigentlich unabdingbar, wurde aber bisher allenfalls im Rahmen der Publizistik einiger Fachzeitschriften praktiziert.
Nach der Lektüre des Bandes bleibt nicht viel vom Mythos der Bukowina, von der Magie einer ungewöhnlichen Stadt, deren Existenz, auch wenn sie längst Vergangenheit ist, uns der Titel verheißt. Man fragt sich vielleicht, warum Czernowitz – vor allem in den letzten Jahren und mit zunehmender Tendenz - ins Zentrum unseres Interesses rückt. Das ist nämlich zweifelsfrei zu beobachten, aber aus Heppners Buch schöpfen wir keine Erklärung für diesen Umstand, eher aus der Tatsache, dass der Verlag Böhlau das Erscheinen des Bandes für wichtig erachtet. Heppners Material kann den – sicher nicht fachhistorischen - Annäherungen an eine Landschaft, wie sie uns Israel Chalfen (Paul Celan. Eine Biografie seiner Jugend) vorstellt, nicht das Wasser reichen und sie kommen nicht an die Würfe eines Klaus Werner (Fäden ins Nichts gespannt) oder Andrei Corbea-Hoisie (Czernowitz. Jüdisches Städtebild) heran, deren einleitende Essays auch ein gutes Stück Literatur selber darstellen.
Vielleicht ist das ja das Kreuz aller Historiografie: Sie recherchiert so gründlich, dass ihr der Zauberstab, den es zur geistigen Auferstehung, zur Konturierung des Charakters und Profils einer geschichtlichen Landschaft oder Epoche bedarf, zum spitzen Bleistift missrät. War die Bukowina, so fragen wir uns nach der Lektüre, denn nicht eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten? War denn die Stadt unter Obhut und Schutz der habsburgischen Monarchie nicht ein Konstrukt durchaus rechtschaffener Bürgerlichkeit, ein Hort der Rechtssicherheit, der Toleranz und des ethnisch-nationalen Einvernehmens unter der Ägide der deutschen Sprache? Und all dies nicht gegen, sondern mit den Juden? Bemühte man sich in der Bukowina denn nicht nach Kräften um den nationalen Ausgleich, wie dies für die Monarchie absolut keine Selbstverständlichkeit war, am wenigsten für die staatlich-imperiale Nachbarschaft, in der sie eingebettet lag? War sie nicht eine recht moderne Insel in einem Meer von Rückständigkeit, wie es die Historikerin Mariana Hausleitner kürzlich umschrieben hat? Wo finden wir bei Heppner das spezifisch Altösterreichische, Deutsch-Jüdische, Jüdisch-Deutsche, wo weht uns in diesem Buch der Geist der Stadt an?
Wenn wir gehofft hatten, wir würden in den Beiträgen dem Phänomen Czernowitz auf die Spur kommen, dem, was ihm im Widerspruch zu seiner bescheidenen Größe einen unvergleichlichen Rang in der europäischen und jüdischen Gedächtniskultur gesichert und posthum zu einem Topos der Weltliteratur und Paradigma für das menschliche Miteinander hat werden lassen, bleiben wir enttäuscht zurück.
Harald Heppner (Hrsg.) Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Böhlau Verlag Köln. 2000. 225 Seiten, ISBN 3-41204-90-0X. Gebunden. 24,50 €