Czernowitz Bukowina - Wo Menschen und Bücher lebten

 

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Gedenktafel für Selma Meerbaum-Eisinger
Veranstaltung in Czernowitz am 5. September 2004

Selma Meerbaum-Eisinger wurde am 5. Februar 1924 im damals rumänischen Czernowitz geboren. Sie wuchs, Kind einer jüdischen Familie, in der ehemaligen Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Bukowina in einem von der deutschsprachigen Kultur und der österreichischen Zivilisation geprägten Milieu auf.

load/Selma Meerbaum-Eisinger 01.jpgMit ihrem Cousin zweiten Grades Paul Celan teilte sie die deutsche Muttersprache und die Liebe zur Poesie.

Selma verlebte ihre Kindheit in ärmlichen Verhältnissen. Ihr Vater Max Meerbaum führte einen kleinen Farbenladen. Nach seinem frühen Tod an Tuberkulose heiratete die Witwe Frieda Leo Eisinger. Selma besuchte die Mittelschule in Czernowitz, davon das letzte Jahr vor der Matura in der Sowjetzeit mit jiddischem Unterricht. Sie war aktiv in der zionistischen Jugendorganisation Haschomer Hazair, wo sie auch Lejser Fichmann kennen lernte, dem sie Liebesgedichte schrieb.

Nach dem Einmarsch rumänischer und deutscher Truppen im Juli 1941 wurde Selmas Familie im Ghetto von Czernowitz interniert und bald darauf ins Arbeitslager Michailovka nach Transnistrien verschleppt. Dort starb Selma Meerbaum-Eisinger am 16. Dezember 1942 achtzehnjährig in Flecktyphus.

Selma Meerbaum-Eisinger wurde erst nach Publikation ihres lyrischen Nachlasses bekannt, der 57 Gedichte (darunter fünf Nachdichtungen) enthält. Lose Blätter mit ihren Gedichten wurden, zu einem Album gebunden, von ihren Freundinnen Renée Abramovici-Michaeli und Else Schächter-Keren gerettet und nach Israel gebracht. Dort veröffentlichte sie Selmas ehemaliger Gymnasiallehrer Hersch Segal 1976 als Privatdruck unter dem Titel Blütenlese.

Der deutsche Literaturhistoriker Jürgen Serke gab 1980 diese Gedichte unter dem Titel Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund im renommierten Verlag Hoffman und Campe, Hamburg, mit seinem Essay Geschichte einer Entdeckung heraus, was eine literarische Sensation auslöste. Obwohl Selma ihre Gedichte in jungen Jahren geschrieben hat, bezeugen sie eine ungewöhnlich reife poetische Begabung. Stephan Hermlin sprach von erschütternden Gedichten, Hilde Domin verglich ihr Talent mit dem des jungen Hofmannsthal. Ungeachtet der thematischen Beschränkung (Liebe- und Landschaftsgedichte) überzeugt diese Lyrik durch Aufrichtigkeit und Intensität der Gefühle angesichts der existenziellen Bedrohung (Poem) und die Tragik des Schicksals der jungen Dichterin verleiht den Versen eine besondere Spannung.

Szenische Reflexionen von Selmas Gedichten wurden unter dem Titel Ich bin in Sehnsucht eingehüllt von der österreichischen Komponistin Luna Alcaley vertont und im Rahmen des Steirischen Herbstes am 24. September 1984 in Graz uraufgeführt.

Am 21. April 2001 erlebte das Stadttheater Fürth (Deutschland) eine szenische Recherche mit Musik unter dem Titel Selma oder die Reise um den Tisch. Selmas Gedicht Trauer wurde 2002 vom Schweizer World Quintet vertont und von Herbert Grönemeyer interpretiert. Eine weitere CD des World Quintets mit vertonten Gedichten Selmas wird im Herbst 2004 erscheinen.

Nach: Peter Rychlo: Die verlorene Harfe. Eine Anthologie deutschsprachiger Lyrik aus der Bukowina. Černivci 2002

2004 wäre Selma Meerbaum-Eisinger 80 Jahre alt geworden. Mit der Anbringung einer Gedenktafel an ihrem Wohnhaus in der Bilaer Gasse in Czernowitz (heute: Вул. М. Чернишевського) soll zum einen die Erinnerung an sie gewahrt werden, zum andern findet sie damit Zugang zum öffentlichen Gedächtnis ihrer heutigen ukrainischen Vaterstadt.

Die vom Czernowitzer Künstler Jurij Pawljuk gestaltete Gedenktafel wird ein Portrait der Dichterin zeigen und folgende Inschrift in deutscher und ukrainischer Sprache tragen:



In diesem Haus wohnte die Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger
Czernowitz 5.2.1924 – Lager Michailovka 16.12.1942

"Ich habe keine Zeit gehabt zu Ende zu schreiben …"





Die Enthüllung der Tafel findet am 5. September 2004 in Czernowitz statt. Dabei wird der Literaturwissenschaftler und Übersetzer Dr. Peter Rychlo zu Leben und Werk von Selma Meerbaum-Eisinger sprechen. Zudem werden die in Israel lebenden Jugendfreundinnen Selmas, Margit Bartfeld-Feller und Ilana Schmueli, von ihren Kindheitserinnerungen berichten.

Die Finanzierung der Gedenktafel ist der Literar-Mechana, Wien, Martin Meerbaum, Florida, und dem Engagement von Felix Mitterer zu danken.

  • Initiatoren:
Renée Abramovici-Michaeli s.A.
Margit Bartfeld-Feller, Schriftstellerin, Tel Aviv
Cécile Cordon, Abgeordnete zum Landtag, Wien
Dr. Konstantin Kaiser, Schriftsteller und Exilforscher, Wien
Helmut Kusdat, Wien
Martin Meerbaum, Aventura, Florida
Felix Mitterer, Schriftsteller, Irland
Dr. Sergij Osatschuk, Bukowina-Zentrum, Czernowitz
Prof. Dr. Drs. h.c. Erhard Roy Wiehn, Konstanz
Dr. Peter Rychlo, Dozent für Weltliteratur, Universität Czernowitz
Ilana Schmueli, Schriftstellerin, Tel Aviv






Das ist das Schwerste: sich verschenken
Und wissen, dass man überflüssig ist,
Sich ganz zu geben und zu denken,
Dass man wie Rauch ins Nichts verfließt.

Tragik, 23.12.1941



load/Selma Meerbaum-Eisinger 03.jpgSelma Meerbaum-Eisinger (rechts) und
Else Keren 1940 in Czernowitz.
Aus Cécile Cordon, Helmut Kusdat (Hg.):
An der Zeiten Ränder. Czernowitz und die
Bukowina.
Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft. Wien 2002.








Kontakt: Helmut Kusdat, A-1200 Wien, Waldmüllergasse 9/4, Tel.: 350 69 64, E-mail: kusdat@mail.com

ZWISCHENWELT. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands
Nr. 1e/2004. Verleger: Theodor Kramer Gesellschaft, A-1020 Wien, Engerthstr. 204/14, E-mail: tkg@aon.at
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