Inhalt
Buchvorstellung
Hans Bergel
Zu Dorothea Sellas Romantrilogie "Der Ring des Prometheus"
Apokalyptische Ausblicke im Stil des 20. Jahrhunderts durchgeistern das schriftliche Zeitdokument der nächsten Bukowinerin, von der die Rede sein wird: Dorothea Sellas 1996 bei Rubin Mass in Jerusalem erschiene Romantrilogie "Der Ring des Prometheus". Die 1919 geborene Czernowitzerin studierte zunächst unter rumänischer, dann sowjetischer Herrschaft an der Czernowitzer Universität Philosophie, Philologie und Literaturgeschichte, setzte das Studium während des deutsch-sowjetischen Krieges 1941-45 in Stawropol, danach in Tiflis fort und beendete es 1947 mit der Promotion an der Universität Bukarest. Was sich hinter diesen Daten verbirgt, erschließt in der epischen Auffächerung ein Panorama des Martyriums, das die Lektüre des Dokuments zum Alptraum macht.
Im Geist des vom habsburgischen Wien bestimmten Lebensverhältnisses aufgewachsen und aufgezogen, damit in deutscher Kultur wurzelnd - wiewohl die Bukowina seit 1918 zu Rumänien gehörte -, erfährt die Studentin, und mit ihr die etwa 60.000 Czernowitzer Juden, nach den Wechselbädern im ostrumänischen Antisemitismus bei der Abtretung der Bukowina an die UdSSR 1940 die Gnadenlosigkeit des moskowitischen Zugriffs: über 10.000 Juden werden nach Sibirien verschleppt. Als dann im Juni 1941 Hitlers Armeen die Sowjetunion angreifen, flieht sie, jung verheiratet, zusammen mit ihrem Mann und einer Gruppe Gleichaltriger ostwärts. Die Geographie nördlich des Schwarzen bis an die Westküste des Kaspischen Meeres zwischen Czernowitz, Krivoi-Rog, Stawropol und Mahatschkalah, zwischen Baku, Tiflis und Odessa, der südukrainischen Sandsteppen und des Hohen Kaukasus, der georgischen Berge und der Ebenen um die Mündungsgebiete des Dnjestr, Bug, D njepr und Don - das sind die Landschaften der rund 5.000 Kilometer langen Flucht und Irrwege bei nur schwer vorstellbaren körperlichen wie seelischen Strapazen und Torturen.
Hineingerissen in den Strom der kopflos und verzweifelt vor den Deutschen Fliehenden, sommers wie winters auf Bahnhöfen, im Freien, in kalten Schulräumen übernachtend, zu Fuß, auf Güterzügen oder Lastwagen pausenlos unterwegs, sich von weniger als wenig ernährend, erwächst der jungen Frau eine zusätzliche Bürde - sie ist schwanger. Der Tod des wenige Monate alten Kindes, der Verlust des Ehemanns, der zur Roten Armee einberufen wird, die Schwangerschaft mit einem zweiten Kind, dessen Geburt und - abermals nach wenigen Monaten - dessen Tod, die Versuche, trotz allen Elends das Studium fortzusetzen, Chaos und Härte des Kriegsalltags, die Not allenthalten: Das ist in atemberaubend bedrängender Prosa und mit einer Intensität des Erleidens niedergeschrieben, die sich infolge der Selbstvorwürfe, für Leib und Leben ihrer Kinder und ihres Mannes nicht genug getan zu haben, ins Unerträgliche steigert.
Genau hier liegt die Wirkung dieses Buches: Zur realistischen Genauigkeit in der Schilderung der barbarischen Epochenzustände, des von unterschiedlichen Begegnungen gespickten Fluchtwegs und der Details der Lebensverhältnisse, die allein schon genügen würden, ein Epos von dramatischer Dichte zu füllen, kommt die das ganze Werk überlagernde peinigende Selbstzuweisung der Schuld. Kein Wort der Anklage an die Adresse der historischen Verursacher all des unendlichen Leids ist in dem erstaunlichen Buch zu lesen. Vielmehr nimmt die Erzählerin für ihren persönlichen Bereich die Schuld der Welt auf sich. Sie sieht sich allein als die Verantwortliche für das, was in ihrem unmittelbaren Lebenskreis geschieht, auch wenn es tausendmal die Auswirkungen von ihr unabhängiger, ihr überlegener Kräfte sind. So wird "Der Ring des Prometheus" nicht nur zur Dokumentation einer jahrelangen Flucht durch Breitengrade, über die es dieser Art b isher keinerlei in deutscher Sprache gab. Er enthält zugleich und darüber hinaus die Botschaft vom leidenden Geschöpf, das nicht aufhört, an sich selber als alleinige Instanz in der Frage der moralischen Bestimmung seiner Existenz zu glauben. Davon erhält das Buch - das weniger ein Roman, vielmehr ein schonungslos persönlicher Lebensbericht ist - Ethos und Pathos und wird über die realistische Schilderung des Details hinaus zur Botschaft.
(aus: "Von den Schultern der Karpaten ...". Deutschschreibende jüdische Autoren aus Südosteuropa in Israel. In: Die Stimme. Mitteilungsblatt für die Bukowiner. Nr. 612, April 2001, Arnonstraße 12, 63455 Tel-Aviv. In deutscher Sprache)
Im Geist des vom habsburgischen Wien bestimmten Lebensverhältnisses aufgewachsen und aufgezogen, damit in deutscher Kultur wurzelnd - wiewohl die Bukowina seit 1918 zu Rumänien gehörte -, erfährt die Studentin, und mit ihr die etwa 60.000 Czernowitzer Juden, nach den Wechselbädern im ostrumänischen Antisemitismus bei der Abtretung der Bukowina an die UdSSR 1940 die Gnadenlosigkeit des moskowitischen Zugriffs: über 10.000 Juden werden nach Sibirien verschleppt. Als dann im Juni 1941 Hitlers Armeen die Sowjetunion angreifen, flieht sie, jung verheiratet, zusammen mit ihrem Mann und einer Gruppe Gleichaltriger ostwärts. Die Geographie nördlich des Schwarzen bis an die Westküste des Kaspischen Meeres zwischen Czernowitz, Krivoi-Rog, Stawropol und Mahatschkalah, zwischen Baku, Tiflis und Odessa, der südukrainischen Sandsteppen und des Hohen Kaukasus, der georgischen Berge und der Ebenen um die Mündungsgebiete des Dnjestr, Bug, D njepr und Don - das sind die Landschaften der rund 5.000 Kilometer langen Flucht und Irrwege bei nur schwer vorstellbaren körperlichen wie seelischen Strapazen und Torturen.
Hineingerissen in den Strom der kopflos und verzweifelt vor den Deutschen Fliehenden, sommers wie winters auf Bahnhöfen, im Freien, in kalten Schulräumen übernachtend, zu Fuß, auf Güterzügen oder Lastwagen pausenlos unterwegs, sich von weniger als wenig ernährend, erwächst der jungen Frau eine zusätzliche Bürde - sie ist schwanger. Der Tod des wenige Monate alten Kindes, der Verlust des Ehemanns, der zur Roten Armee einberufen wird, die Schwangerschaft mit einem zweiten Kind, dessen Geburt und - abermals nach wenigen Monaten - dessen Tod, die Versuche, trotz allen Elends das Studium fortzusetzen, Chaos und Härte des Kriegsalltags, die Not allenthalten: Das ist in atemberaubend bedrängender Prosa und mit einer Intensität des Erleidens niedergeschrieben, die sich infolge der Selbstvorwürfe, für Leib und Leben ihrer Kinder und ihres Mannes nicht genug getan zu haben, ins Unerträgliche steigert.
Genau hier liegt die Wirkung dieses Buches: Zur realistischen Genauigkeit in der Schilderung der barbarischen Epochenzustände, des von unterschiedlichen Begegnungen gespickten Fluchtwegs und der Details der Lebensverhältnisse, die allein schon genügen würden, ein Epos von dramatischer Dichte zu füllen, kommt die das ganze Werk überlagernde peinigende Selbstzuweisung der Schuld. Kein Wort der Anklage an die Adresse der historischen Verursacher all des unendlichen Leids ist in dem erstaunlichen Buch zu lesen. Vielmehr nimmt die Erzählerin für ihren persönlichen Bereich die Schuld der Welt auf sich. Sie sieht sich allein als die Verantwortliche für das, was in ihrem unmittelbaren Lebenskreis geschieht, auch wenn es tausendmal die Auswirkungen von ihr unabhängiger, ihr überlegener Kräfte sind. So wird "Der Ring des Prometheus" nicht nur zur Dokumentation einer jahrelangen Flucht durch Breitengrade, über die es dieser Art b isher keinerlei in deutscher Sprache gab. Er enthält zugleich und darüber hinaus die Botschaft vom leidenden Geschöpf, das nicht aufhört, an sich selber als alleinige Instanz in der Frage der moralischen Bestimmung seiner Existenz zu glauben. Davon erhält das Buch - das weniger ein Roman, vielmehr ein schonungslos persönlicher Lebensbericht ist - Ethos und Pathos und wird über die realistische Schilderung des Details hinaus zur Botschaft.
(aus: "Von den Schultern der Karpaten ...". Deutschschreibende jüdische Autoren aus Südosteuropa in Israel. In: Die Stimme. Mitteilungsblatt für die Bukowiner. Nr. 612, April 2001, Arnonstraße 12, 63455 Tel-Aviv. In deutscher Sprache)