Inhalt
Buchvorstellung
Othmar Andrée
Im Gewand der Poesie
Der Czernowitzer Josef Burg in seinen Erinnerungen
Wer mit dem Werk Josef Burgs, des jiddisch-jüdisch schreibenden Czernowitzer Poeten, Lyrikers, Autors und Schriftstellers halbwegs vertraut ist, dem ist vielleicht noch jenes schmale Bändchen in Erinnerung, das ihm ein junger Verehrer, GUS-Reisender und Journalist vor einigen Jahren zugeeignet hat. In ihm erzählt Josef Burg, dieser letzte Zeuge einer untergegangenen Welt in deutscher Sprache unprätentiös, frei und unaufdringlich aus seinem Leben. So ist auch der jetzt vorgelegte Band, der aus Anlass Burgs 92. Geburtstags erschienen ist, der Retrospektive und dem Gedächtnis gewidmet, den Reflexionen, Rückversicherungen und Erinnerungen, mit denen Burg in siebzehn kleinen Erzählungen und in poetischer Brechung einen Bogen über sein Leben spannt. Da wird der Leser etwa in das alte Wi¿nitz entführt, in dem Burg zur Welt kam und aufgewachsen ist.
Eines Tages steht das Leben des kleinen Schwesterchens auf Messers Schneide, und Reb Mordche, der Rebbe, ist rasch mit seinem Latein am Ende. In größter Not und Verzweiflung bestellt man aus dem entwickelten und fortschrittlichen Czernowitz Dr. Mejer, ein Maskil, ein "Aufgeklärter" und im Ausland gebildeter Arzt, der bei dem Kind Diphtherie diagnostiziert. Aber da ist es eigentlich schon zu spät.
Oder wir lesen die Geschichte vom alten gotischen Kirchlein. Noch während der Errichtung des Bauwerks fallen stets über Nacht, wie von einer dämonischen Kraft ausgelöst und "als würde über dem Gebäude ein Fluch hängen" die Mauern ein, die man tags zuvor errichtet hatte. Da sucht eines Nachts ein böser Traum den Auftraggeber für das Kirchlein heim, einen in den Waldkarpaten despotisch, mit eiserner Faust herrschenden Baron: Der Bau, so die geträumte, gespenstige Erscheinung, kann nur zu einem glücklichen Ende kommen, wenn ein Mensch in ihm eingemauert würde. Es ist Riwkele, die achtzehnjährige Tochter des Pächters, die der Baron für dieses Schicksal ausersehen wird.
Immer wieder gleiten Burgs Gedanken hinüber zu den Barbareien des Zweiten Weltkriegs oder münden darin. Ein SS-Offizier liegt im Sterben. Er glaubt, von der Last seiner Sünden befreit werden zu können, wenn er einen Juden findet, der ihm verzeiht. "Einen Juden bringt, einen Juden!", ruft der Offizier mit letzter Kraft. Aber der Jude, der ans Sterbelager tritt, ist nicht bereit, dem Deutschen Absolution zu erteilen und schweigt. "… in seinem Schweigen war das Schreien von Generationen Verfolgter, von Pogromen und Massakern Heimgesuchter."
Es sind die zwischen Grausamkeit und Idylle, zwischen dem Gestern und Heute changierenden Erzählungen und Episoden, mit denen Burg ein Bild seines Lebens zeichnet, aber auch der Landschaft huldigt, in der er aufgewachsen ist und einen großen Teil seines Lebens verbracht hat, ihren Legenden und Gerüchten. Burg scheut sich nicht, seine Erzählungen - wie es der Herausgeber im Vorwort umschreibt - in einer "stark vom Gefühl geprägten und lyrischen, märchenhaften Sprache" anzulegen. Tatsächlich entfernt sich Burg mit dieser Sprache und den in ihr artikulierten Empfindungen, Eindrücken und Skizzen sehr weit vom heutigen Literaturbetrieb und seiner Diktion, auch wenn er damit in einer poetischen, vor allem lyrischen Tradition seines Landes, der Bukowina, steht. Es macht dem Leser schon einige Schwierigkeiten, von "grünen, rauschenden Wäldern" zu lesen, von "jungen, hellblonden SS-Offizieren mit mörderisch-viehischem Blick", von den "verschlungenen Czernowitzer Straßen", weil die das nun gerade nicht sind.
An vielen Stellen stoßen wir auf Metaphern, wie sie sich von unserer mentalen Erfahrung her nicht belegen lassen. Da gibt es etwa in der Erzählung von der alten Tchine für seine eigene und Tausende andere Mütter ein Massengrab, ein Grab "übervoll mit Leid und Blut". Und doch verbindet den Topos des Grabes nichts mit der warmen Physis des roten, fließenden, pulsenden Blutes, auch nicht mit dem seelischen Leid der Toten, das wir, die wir zurück geblieben sind, von jetzt ab in unserem Gedächtnis bewahren. Leid und Blut werden nicht zu Grabe getragen, auch wenn sie letztlich zum Tod führen. Das eine wie das andere, es fällt uns zu. Selbst der Geruch, der Duft der Blumen in "Verdörrte Blumen" ist nicht statisch konnotiert. Er entströmt den Blumen, macht aus ihnen parallel zu ihrer Stofflichkeit ein ideelles Wesen des Augenblicks.
Manchmal wünschen wir uns für den Text, den Armin Eidherr aus dem Jiddischen übertragen hat, ein höheres Maß an Sparsamkeit, an Knappheit, an Lakonie des Ausdrucks, damit uns die Abgründe und Klüfte menschlichen Handelns, wie sie sich in Zeiten von Xenophobie, Krieg und Verfolgung auftun, nicht verborgen bleiben.
Josef Burg. Sterne altern nicht. Ausgewählte Erzählungen. Aus dem Jiddischen von Armin Eidherr. Hans Boldt Literaturverlag, Winsen/Luhe 2004. ISBN 3-928788-45-0. Gebunden, 100 Seiten. 14,60 €
September 2004
Eines Tages steht das Leben des kleinen Schwesterchens auf Messers Schneide, und Reb Mordche, der Rebbe, ist rasch mit seinem Latein am Ende. In größter Not und Verzweiflung bestellt man aus dem entwickelten und fortschrittlichen Czernowitz Dr. Mejer, ein Maskil, ein "Aufgeklärter" und im Ausland gebildeter Arzt, der bei dem Kind Diphtherie diagnostiziert. Aber da ist es eigentlich schon zu spät.
Oder wir lesen die Geschichte vom alten gotischen Kirchlein. Noch während der Errichtung des Bauwerks fallen stets über Nacht, wie von einer dämonischen Kraft ausgelöst und "als würde über dem Gebäude ein Fluch hängen" die Mauern ein, die man tags zuvor errichtet hatte. Da sucht eines Nachts ein böser Traum den Auftraggeber für das Kirchlein heim, einen in den Waldkarpaten despotisch, mit eiserner Faust herrschenden Baron: Der Bau, so die geträumte, gespenstige Erscheinung, kann nur zu einem glücklichen Ende kommen, wenn ein Mensch in ihm eingemauert würde. Es ist Riwkele, die achtzehnjährige Tochter des Pächters, die der Baron für dieses Schicksal ausersehen wird.
Immer wieder gleiten Burgs Gedanken hinüber zu den Barbareien des Zweiten Weltkriegs oder münden darin. Ein SS-Offizier liegt im Sterben. Er glaubt, von der Last seiner Sünden befreit werden zu können, wenn er einen Juden findet, der ihm verzeiht. "Einen Juden bringt, einen Juden!", ruft der Offizier mit letzter Kraft. Aber der Jude, der ans Sterbelager tritt, ist nicht bereit, dem Deutschen Absolution zu erteilen und schweigt. "… in seinem Schweigen war das Schreien von Generationen Verfolgter, von Pogromen und Massakern Heimgesuchter."
Es sind die zwischen Grausamkeit und Idylle, zwischen dem Gestern und Heute changierenden Erzählungen und Episoden, mit denen Burg ein Bild seines Lebens zeichnet, aber auch der Landschaft huldigt, in der er aufgewachsen ist und einen großen Teil seines Lebens verbracht hat, ihren Legenden und Gerüchten. Burg scheut sich nicht, seine Erzählungen - wie es der Herausgeber im Vorwort umschreibt - in einer "stark vom Gefühl geprägten und lyrischen, märchenhaften Sprache" anzulegen. Tatsächlich entfernt sich Burg mit dieser Sprache und den in ihr artikulierten Empfindungen, Eindrücken und Skizzen sehr weit vom heutigen Literaturbetrieb und seiner Diktion, auch wenn er damit in einer poetischen, vor allem lyrischen Tradition seines Landes, der Bukowina, steht. Es macht dem Leser schon einige Schwierigkeiten, von "grünen, rauschenden Wäldern" zu lesen, von "jungen, hellblonden SS-Offizieren mit mörderisch-viehischem Blick", von den "verschlungenen Czernowitzer Straßen", weil die das nun gerade nicht sind.
An vielen Stellen stoßen wir auf Metaphern, wie sie sich von unserer mentalen Erfahrung her nicht belegen lassen. Da gibt es etwa in der Erzählung von der alten Tchine für seine eigene und Tausende andere Mütter ein Massengrab, ein Grab "übervoll mit Leid und Blut". Und doch verbindet den Topos des Grabes nichts mit der warmen Physis des roten, fließenden, pulsenden Blutes, auch nicht mit dem seelischen Leid der Toten, das wir, die wir zurück geblieben sind, von jetzt ab in unserem Gedächtnis bewahren. Leid und Blut werden nicht zu Grabe getragen, auch wenn sie letztlich zum Tod führen. Das eine wie das andere, es fällt uns zu. Selbst der Geruch, der Duft der Blumen in "Verdörrte Blumen" ist nicht statisch konnotiert. Er entströmt den Blumen, macht aus ihnen parallel zu ihrer Stofflichkeit ein ideelles Wesen des Augenblicks.
Manchmal wünschen wir uns für den Text, den Armin Eidherr aus dem Jiddischen übertragen hat, ein höheres Maß an Sparsamkeit, an Knappheit, an Lakonie des Ausdrucks, damit uns die Abgründe und Klüfte menschlichen Handelns, wie sie sich in Zeiten von Xenophobie, Krieg und Verfolgung auftun, nicht verborgen bleiben.
Josef Burg. Sterne altern nicht. Ausgewählte Erzählungen. Aus dem Jiddischen von Armin Eidherr. Hans Boldt Literaturverlag, Winsen/Luhe 2004. ISBN 3-928788-45-0. Gebunden, 100 Seiten. 14,60 €
September 2004