Inhalt
Buchvorstellung
Verlagstexte
ZweiGeist
Karl Emil Franzos
Zweigeist und Lichtzieher
... ich komme aus lichteren Zeiten und könnte nicht weiter-
leben, wenn ich die Hoffnung aufgeben müßte, lichtere zu
erleben ...
Karl Emil Franzos, 1904
Licht! Dieser Ausruf wird Goethe als letzte Bitte vor seinem Hinscheiden zugedichtet. Mehr Licht! hieß eine Zeitschrift, in der Karl Emil Franzos 1878 ein dramatisches Fragment von Georg Büchner erstmals veröffentlichte, das er nach seiner Lesart mit dem Titel Wozzek überschrieb. Laterne nannte der 25-jährige Franzos eine Wochenschrift, die sechs Ausgaben nicht überlebte und von der kein Exemplar erhalten ist. Er sah sich selbst lange als ein Lichtbringer ins Dunkel seiner galizischen Heimat und wünschte, die eigenen Grenzen durchaus erkennend, wenn schon kein Stern am Himmel, so doch wenigstens ein irdisches Licht zu werden, welches einzelnen die Nacht erhellt.
Die idealisierten Lichtbilder seiner Jugend, die im Zusammenhang mit seinem Glauben an Wirken und Segen deutscher Kultur standen, verdunkelten sich ihm in den neunziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts zusehends, so dass er in der Agonie des Todes keinen deutschen Klassiker mehr zitiert haben soll, sondern Sophokles.
Der Lebensweg, der auf russischem Boden, in dem Gouvernement Podolien, unweit der österreichischen Grenze, am 25. Oktober des Revolutionsjahres 1848 begann, führte über den Ort der Kindheit, das galizische Städtchen Czortkow (poln. Czortków, ukr. Чортків), nach Czernowitz in der Bukowina, seinen Vorhof zum Paradies Deutschland. Hier verbrachte er eine inspirierte Jugend, hier wuchsen ihm Deutsch- und Judentum zu einer Einheit zusammen. Es folgten die Studienorte Wien und Graz, unterbrochen von ausgedehnten Reisen durch Europa, besonders Südosteuropa. In Graz promovierte er zum Dr. iuris, sammelte neben dem Studium auch schon Erfahrungen als Journalist und schrieb seine ersten Novellen. Später lebte er als Publizist, Dichter und Herausgeber in Wien, wo er angesichts finanzieller Nöte in harten Zeiten oft seine Adresse wechseln musste, bis er schließlich, neununddreißigjährig, nach Berlin übersiedelte, nach Deutschland, wohin er auf väterlichen Wunsch von Anfang an hin sollte und wollte. Die unruhige Lebensweise endete für den schließlich schwer herzkranken und von Asthmaanfällen gepeinigten Franzos 1904 auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee.
Der Lebensweg des geborenen Erzählers, dessen Novellenband Die Juden von Barnow schon zu Lebzeiten in sechzehn Sprachen übersetzt war, führte durch Überzeugungen und Irrtümer, Heimat verlassend und Heimat wähnend … im Grunde eine Geschichte von Seinsverfehlung, die auch im Rückblick tragische Züge aufweist. Als habe sein Beharren auf Licht mehr dem Wunsch nach Klärung der eigenen Lage gegolten und nicht so sehr der Erleuchtung des, nach seiner Sicht, in Dunkelheit versunkenen Ostens jener Zeit.
Die väterlichen Vorfahren waren spanische Juden. Franzos' Erzählungen darüber lenken einen dünnen Faden Licht auf den im Dunkel liegenden Weg seiner Herkunft, verweisen auf einen Flucht- und Wanderweg, der im ersten Jahrtausend auf der Iberischen Halbinsel für ein paar Jahrhunderte zur Ruhe gekommen sein muss. Der Familienlegende nach rechnete man sich dort den Handelsherren zu, unter der Sonne Kastiliens oder Aragóns. Sie waren Zugereiste, die zwischen dem 11. und dem 14. Jahrhundert wohl über Asien und Afrika einwanderten. Sie konnten in der lichtvollen Blütezeit jüdischer Kultur in Spanien unbeschwert leben, bevor sie zur Zeit der Inquisition vertrieben wurden, über Holland nach Lothringen gelangten und wieder eine Weile Ruhe fanden. Weit entfernt von mittelmeerischem Licht, der goldenen Zeit, doch weiterhin dem spaniolischen Ritus folgend, französisch sprechend und sich von Geschlecht zu Geschlecht als arme fleißige Lichtzieher ernährend; Kerzenmacher, die auf den französischen Familiennamen »Levert« hörten. Diesen für deutsche Ohren elegant klingenden Namen verlor die Familie später, im Osten, wo sie als österreichische Untertanen und Juden Galiziens auf Joseph II. Geheiß von der Militärverwaltung Familiennamen erhielten, und sie konnten mit dem ihm zugeteilten Namen »Franzos«, der die vorletzte Station ihres langen Weges in den Osten anzeigt, noch zufrieden sein. Nicht nehmen konnte man ihnen das von jeher über Generationen kultivierte Licht der Bildung und Aufklärung – Lichtzieher in zweifacher Hinsicht -; sie trugen dessen geistige Gestalt bis in den Osten, nach Galizien, wo es nicht nur der Fabrikation von Kerzen ermangelte. Karl Emil Franzos’rsquo; Großvater legte den Keim für die spätere jüdisch-deutsche »Doppelwurzel« (Martin Buber) in seiner Familie, er trug sein Licht als Privatgelehrter voran, übertrug es auf seinen Sohn, den einzigen, der, nach seinen Worten, nie um der Aufklärung willen leiden sollte. Er litt dann doch, der Vater Karl Emils, der im Brotberuf Mediziner wurde, ohne Neigung, aber mit kraftvollem Ernst und Pflichtgefühl. Er trug seinem Sohn – man gerät ja seinem Vater nach - das gehütete und inzwischen stark deutsch geprägte Kultur-Licht auf, dem letzten aus der Familie Franzos, resp. Levert, von dem wir wissen.
Karl Emil Franzos zog als Schriftsteller mit missionarischem Eifer für ein deutsches Kulturverständnis werbend in einem Gebiet umher, das unter seiner Beleuchtung halbiert erschien, nicht mehr ganz Asien und schon halb Europa. Es zerfiel ihm in Licht- und Schattenseite, und er nannte die damals wie heute für den Westen nahezu weißen Flecken Ostmitteleuropas Halb-Asien. Franzos machte dieses Gelände den westlichen Lesern mit seinen Erzählungen und Kulturbildern unter jenem Begriff bekannt, der sogar Eingang in Büchmanns Geflügelte Worte fand. Der Name Franzos wurde zeitweilig sogar zum Synonym für die Bukowina, Galizien und Podolien als »Karl-Emil-Franzos-Gegend« (Theodor Fontane). Noch sechzig Jahre später sprach Paul Celan von der »Gegend, in der Menschen und Bücher lebten« und nannte auch den Namen Karl Emil Franzos als seinen »hier wiedergefundenen Landsmann«. Franzos verlor erst spät, angesichts antijüdischer Großwetterlagen in Ganz-Europa, manch lang gehegte und teuer ererbte Illusion vom Segen deutscher Kultur. Er ahnte, wusste wohl von den Miasmen, die uns heute zu ersticken drohen, wie er es als Antwort in einer Umfrage 1896 formulierte. Dies Ersticken blieb ihm erspart; er hätte schon dessen weiteres Voranschreiten wohl kaum überlebt.
Doch ist ihm, der nie wirklich gänzlich vergessen war, noch einiges gefolgt, das er nicht ahnen konnte. Seine halbautobiographische, doch fiktive Romangestalt des Sender (Alexander) Glatteis, der Pojaz, der ein deutscher Schauspieler werden will, wurde, als Träger einer Art »Biographie im Voraus«, wenige Jahre nach Franzos’rsquo; Tod durch eine reale Gestalt eingeholt: die des Schauspielers Alexander Granach aus Ostgalizien … und auch dem Schriftsteller Karl Emil Franzos folgten später eine Reihe bedeutender Dichterinnen und Dichter, Wissenschaftler, Künstler aus Galizien und der Bukowina nach Deutschland.
Text: Einführung zur Buchausgabe
Oskar Ansull. ZweiGeist. Karl Emil Franzos.
Ein Lesebuch von Oskar Ansull
Gebundene Ausgabe - Deutsches Kulturforum östliches Europa
Erscheinungsdatum: Dezember 2004
ISBN: 3936168210. 14,80 €
... ich komme aus lichteren Zeiten und könnte nicht weiter-
leben, wenn ich die Hoffnung aufgeben müßte, lichtere zu
erleben ...
Karl Emil Franzos, 1904
Licht! Dieser Ausruf wird Goethe als letzte Bitte vor seinem Hinscheiden zugedichtet. Mehr Licht! hieß eine Zeitschrift, in der Karl Emil Franzos 1878 ein dramatisches Fragment von Georg Büchner erstmals veröffentlichte, das er nach seiner Lesart mit dem Titel Wozzek überschrieb. Laterne nannte der 25-jährige Franzos eine Wochenschrift, die sechs Ausgaben nicht überlebte und von der kein Exemplar erhalten ist. Er sah sich selbst lange als ein Lichtbringer ins Dunkel seiner galizischen Heimat und wünschte, die eigenen Grenzen durchaus erkennend, wenn schon kein Stern am Himmel, so doch wenigstens ein irdisches Licht zu werden, welches einzelnen die Nacht erhellt.
Die idealisierten Lichtbilder seiner Jugend, die im Zusammenhang mit seinem Glauben an Wirken und Segen deutscher Kultur standen, verdunkelten sich ihm in den neunziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts zusehends, so dass er in der Agonie des Todes keinen deutschen Klassiker mehr zitiert haben soll, sondern Sophokles.
Der Lebensweg, der auf russischem Boden, in dem Gouvernement Podolien, unweit der österreichischen Grenze, am 25. Oktober des Revolutionsjahres 1848 begann, führte über den Ort der Kindheit, das galizische Städtchen Czortkow (poln. Czortków, ukr. Чортків), nach Czernowitz in der Bukowina, seinen Vorhof zum Paradies Deutschland. Hier verbrachte er eine inspirierte Jugend, hier wuchsen ihm Deutsch- und Judentum zu einer Einheit zusammen. Es folgten die Studienorte Wien und Graz, unterbrochen von ausgedehnten Reisen durch Europa, besonders Südosteuropa. In Graz promovierte er zum Dr. iuris, sammelte neben dem Studium auch schon Erfahrungen als Journalist und schrieb seine ersten Novellen. Später lebte er als Publizist, Dichter und Herausgeber in Wien, wo er angesichts finanzieller Nöte in harten Zeiten oft seine Adresse wechseln musste, bis er schließlich, neununddreißigjährig, nach Berlin übersiedelte, nach Deutschland, wohin er auf väterlichen Wunsch von Anfang an hin sollte und wollte. Die unruhige Lebensweise endete für den schließlich schwer herzkranken und von Asthmaanfällen gepeinigten Franzos 1904 auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee.
Der Lebensweg des geborenen Erzählers, dessen Novellenband Die Juden von Barnow schon zu Lebzeiten in sechzehn Sprachen übersetzt war, führte durch Überzeugungen und Irrtümer, Heimat verlassend und Heimat wähnend … im Grunde eine Geschichte von Seinsverfehlung, die auch im Rückblick tragische Züge aufweist. Als habe sein Beharren auf Licht mehr dem Wunsch nach Klärung der eigenen Lage gegolten und nicht so sehr der Erleuchtung des, nach seiner Sicht, in Dunkelheit versunkenen Ostens jener Zeit.
Die väterlichen Vorfahren waren spanische Juden. Franzos' Erzählungen darüber lenken einen dünnen Faden Licht auf den im Dunkel liegenden Weg seiner Herkunft, verweisen auf einen Flucht- und Wanderweg, der im ersten Jahrtausend auf der Iberischen Halbinsel für ein paar Jahrhunderte zur Ruhe gekommen sein muss. Der Familienlegende nach rechnete man sich dort den Handelsherren zu, unter der Sonne Kastiliens oder Aragóns. Sie waren Zugereiste, die zwischen dem 11. und dem 14. Jahrhundert wohl über Asien und Afrika einwanderten. Sie konnten in der lichtvollen Blütezeit jüdischer Kultur in Spanien unbeschwert leben, bevor sie zur Zeit der Inquisition vertrieben wurden, über Holland nach Lothringen gelangten und wieder eine Weile Ruhe fanden. Weit entfernt von mittelmeerischem Licht, der goldenen Zeit, doch weiterhin dem spaniolischen Ritus folgend, französisch sprechend und sich von Geschlecht zu Geschlecht als arme fleißige Lichtzieher ernährend; Kerzenmacher, die auf den französischen Familiennamen »Levert« hörten. Diesen für deutsche Ohren elegant klingenden Namen verlor die Familie später, im Osten, wo sie als österreichische Untertanen und Juden Galiziens auf Joseph II. Geheiß von der Militärverwaltung Familiennamen erhielten, und sie konnten mit dem ihm zugeteilten Namen »Franzos«, der die vorletzte Station ihres langen Weges in den Osten anzeigt, noch zufrieden sein. Nicht nehmen konnte man ihnen das von jeher über Generationen kultivierte Licht der Bildung und Aufklärung – Lichtzieher in zweifacher Hinsicht -; sie trugen dessen geistige Gestalt bis in den Osten, nach Galizien, wo es nicht nur der Fabrikation von Kerzen ermangelte. Karl Emil Franzos’rsquo; Großvater legte den Keim für die spätere jüdisch-deutsche »Doppelwurzel« (Martin Buber) in seiner Familie, er trug sein Licht als Privatgelehrter voran, übertrug es auf seinen Sohn, den einzigen, der, nach seinen Worten, nie um der Aufklärung willen leiden sollte. Er litt dann doch, der Vater Karl Emils, der im Brotberuf Mediziner wurde, ohne Neigung, aber mit kraftvollem Ernst und Pflichtgefühl. Er trug seinem Sohn – man gerät ja seinem Vater nach - das gehütete und inzwischen stark deutsch geprägte Kultur-Licht auf, dem letzten aus der Familie Franzos, resp. Levert, von dem wir wissen.
Karl Emil Franzos zog als Schriftsteller mit missionarischem Eifer für ein deutsches Kulturverständnis werbend in einem Gebiet umher, das unter seiner Beleuchtung halbiert erschien, nicht mehr ganz Asien und schon halb Europa. Es zerfiel ihm in Licht- und Schattenseite, und er nannte die damals wie heute für den Westen nahezu weißen Flecken Ostmitteleuropas Halb-Asien. Franzos machte dieses Gelände den westlichen Lesern mit seinen Erzählungen und Kulturbildern unter jenem Begriff bekannt, der sogar Eingang in Büchmanns Geflügelte Worte fand. Der Name Franzos wurde zeitweilig sogar zum Synonym für die Bukowina, Galizien und Podolien als »Karl-Emil-Franzos-Gegend« (Theodor Fontane). Noch sechzig Jahre später sprach Paul Celan von der »Gegend, in der Menschen und Bücher lebten« und nannte auch den Namen Karl Emil Franzos als seinen »hier wiedergefundenen Landsmann«. Franzos verlor erst spät, angesichts antijüdischer Großwetterlagen in Ganz-Europa, manch lang gehegte und teuer ererbte Illusion vom Segen deutscher Kultur. Er ahnte, wusste wohl von den Miasmen, die uns heute zu ersticken drohen, wie er es als Antwort in einer Umfrage 1896 formulierte. Dies Ersticken blieb ihm erspart; er hätte schon dessen weiteres Voranschreiten wohl kaum überlebt.
Doch ist ihm, der nie wirklich gänzlich vergessen war, noch einiges gefolgt, das er nicht ahnen konnte. Seine halbautobiographische, doch fiktive Romangestalt des Sender (Alexander) Glatteis, der Pojaz, der ein deutscher Schauspieler werden will, wurde, als Träger einer Art »Biographie im Voraus«, wenige Jahre nach Franzos’rsquo; Tod durch eine reale Gestalt eingeholt: die des Schauspielers Alexander Granach aus Ostgalizien … und auch dem Schriftsteller Karl Emil Franzos folgten später eine Reihe bedeutender Dichterinnen und Dichter, Wissenschaftler, Künstler aus Galizien und der Bukowina nach Deutschland.
Text: Einführung zur Buchausgabe
Oskar Ansull. ZweiGeist. Karl Emil Franzos.
Ein Lesebuch von Oskar Ansull
Gebundene Ausgabe - Deutsches Kulturforum östliches Europa
Erscheinungsdatum: Dezember 2004
ISBN: 3936168210. 14,80 €