Inhalt
Buchvorstellung
Othmar Andrée
Czernowitz in Sibirien.
Zu Margit Bartfeld-Fellers Erinnerungen an ihre Verbannung
"Es ist hier nicht die Rede von einer Wiederherstellung All(Pan)europas und schon gar nicht eines Kaiserreichs, auch nicht von einem Versuch ... Geschichtsschreibung hat nichts mit Einzelschicksalen zu tun." So gemäß der in Tel Aviv erscheinenden Zeitschrift "Die Stimme" Dan Diners Einlassung anlässlich der Tel-Aviv-Konferenz "Czernowitz as Paradigm" im Herbst 1999.
Nun konterkariert niemand dieses Verdikt deutlicher, entschlossener und beharrlicher als Erhard Roy Wiehn mit seiner Schriftenreihe zur Schoah, die mittlerweile einige hundert Titel umfassen dürfte.
Natürlich will heute niemand ein Kaiserreich auf deutsch-österreichischem Boden, kein Wort darüber, aber dies, das letzte, das von den Einzelschicksalen, ist nicht sehr freundlich gesagt und gedacht jenen gegenüber, die qua ihres Einzelschicksals Historiografie gleichsam erst ins Lebens rufen, ermöglichen und deren Fundament begründen. Dan Diners Worte zeugen von einer Arroganz, die Wissenschaft fern vom Menschen erfinden möchte, wo sie nichts verloren hat: im leeren Raum, in der Utopie, in der Gefangenschaft ihrer Selbstreferenz. Die Missachtung ihres Schicksals, wo und wann immer, das haben die Menschen nicht verdient, deren letztes, oft allerletztes Anliegen es war, uns Botschaft zukommen zu lassen von den Ungeheuerlichkeiten, denen sie (und jeder für sich als Einzelner) vor über einem halben Jahrhundert sehendes Auges gegenüberzutreten hatten. Wo wollen wir denn ihr Wort, ihren Schrei, das Vermächtnis ihrer Erinnerungen ansiedeln, wenn nicht dort und nur dort, in der Geschichtsschreibung?
Neben einer kaum zu überblickenden Zahl von Zeitzeugen des Holocaust und seines Begleitszenarios hat das Margit Bartfeld-Feller getan mit der Implementierung der Wiehnschen Schoah-Reihe durch ihre Erinnerungen in Form einer Trilogie, deren letzter Band uns jetzt vorliegt. Nach dem Buch "Dennoch Mensch geblieben" (1996), dem Kompendium "Nichts ins Nichts gespannt" (1998), nun die Sammlung "Wie aus ganz anderen Welten". Es scheint, als wolle Bartfeld-Feller damit ein autobiografisch geprägtes Werk schließen, das sein Movens sicher mehr aus der Aufarbeitung der sechzig Jahre zurückliegenden Ereignisse schöpft als im Revue-Passieren-Lassen eines äußerst bewegten Lebens.
Bartfeld-Feller, Jahrgang 1923, kann getrost jenem Kreis von Czernowitzern zugerechnet werden, die noch eine physische Verbindung zu dieser Stadt aus der Zeit zwischen den beiden großen Kriegen vorweisen können. Aufgewachsenen in begüterten Verhältnissen mit Sommerfrische in den Karpaten und Privatgymnasium, war es schiere Ungeheuerlichkeit, im Sommer 1941 zusammen mit der Familie, mit Vater, Mutter und kleinem Bruder gleichsam über Nacht von den Sowjets ins ferne Sibirien deportiert zu werden.
Bartfeld-Feller schlägt für uns ein Brevier erschütternder Ereignisse auf, denen vor allem ihr eigener Vater, aber auch viele der mitdeportierten Czernowitzer und Bukowiner Juden - insbesondere in den ersten Monaten und Jahren der Verbannung im sibirischen Dörfchen Krassnojarka - zum Opfer fielen. Die heute in Tel Aviv lebende Schriftstellerin, die ihren vierten Band vorbereitet, liefert einen Reigen skurriler und abgründiger Kurzgeschichten und Skizzen, die den Leser oftmals fassungslos zurücklassen. Nicht immer wird der biographisch-chronologische, oft auch kausale Zusammenhang ihrer Darstellungen deutlich. Gelegentlich gleiten ihre Schilderungen ins Anekdotenhafte ab. Oft wünscht man sich mehr Nähe und Lebendigkeit, nicht weniger ein höheres Maß an geschärftem Detailbewusstsein und epischer Breite. Doch sollte man sich hüten, Bartfeld-Fellers Erzähldiktion zu unterschätzen, die - dominiert vom faszinierend gütigen Wesen dieses Menschen - nie auf Wirkung setzt und viel zu nüchtern ist, als dass man der Würde und der Glaubwürdigkeit ihrer Erzählungen ein Jota rauben könnte. Wer sich mit der Geschichte der Bukowina befasst, kommt an dieser Autorin und ihrem Werk nicht vorbei.
Margit Bartfeld-Feller. Wie aus ganz anderen Welten. Erinnerungen an Czernowitz und die sibirische Verbannung. Hrsg. Von Erhard Roy Wiehn. Konstanz. Hartung Gorre 2000. 72 Seiten. ISBN 3-89649-527-5. 22,00 DEM.
Nun konterkariert niemand dieses Verdikt deutlicher, entschlossener und beharrlicher als Erhard Roy Wiehn mit seiner Schriftenreihe zur Schoah, die mittlerweile einige hundert Titel umfassen dürfte.
Natürlich will heute niemand ein Kaiserreich auf deutsch-österreichischem Boden, kein Wort darüber, aber dies, das letzte, das von den Einzelschicksalen, ist nicht sehr freundlich gesagt und gedacht jenen gegenüber, die qua ihres Einzelschicksals Historiografie gleichsam erst ins Lebens rufen, ermöglichen und deren Fundament begründen. Dan Diners Worte zeugen von einer Arroganz, die Wissenschaft fern vom Menschen erfinden möchte, wo sie nichts verloren hat: im leeren Raum, in der Utopie, in der Gefangenschaft ihrer Selbstreferenz. Die Missachtung ihres Schicksals, wo und wann immer, das haben die Menschen nicht verdient, deren letztes, oft allerletztes Anliegen es war, uns Botschaft zukommen zu lassen von den Ungeheuerlichkeiten, denen sie (und jeder für sich als Einzelner) vor über einem halben Jahrhundert sehendes Auges gegenüberzutreten hatten. Wo wollen wir denn ihr Wort, ihren Schrei, das Vermächtnis ihrer Erinnerungen ansiedeln, wenn nicht dort und nur dort, in der Geschichtsschreibung?
Neben einer kaum zu überblickenden Zahl von Zeitzeugen des Holocaust und seines Begleitszenarios hat das Margit Bartfeld-Feller getan mit der Implementierung der Wiehnschen Schoah-Reihe durch ihre Erinnerungen in Form einer Trilogie, deren letzter Band uns jetzt vorliegt. Nach dem Buch "Dennoch Mensch geblieben" (1996), dem Kompendium "Nichts ins Nichts gespannt" (1998), nun die Sammlung "Wie aus ganz anderen Welten". Es scheint, als wolle Bartfeld-Feller damit ein autobiografisch geprägtes Werk schließen, das sein Movens sicher mehr aus der Aufarbeitung der sechzig Jahre zurückliegenden Ereignisse schöpft als im Revue-Passieren-Lassen eines äußerst bewegten Lebens.
Bartfeld-Feller, Jahrgang 1923, kann getrost jenem Kreis von Czernowitzern zugerechnet werden, die noch eine physische Verbindung zu dieser Stadt aus der Zeit zwischen den beiden großen Kriegen vorweisen können. Aufgewachsenen in begüterten Verhältnissen mit Sommerfrische in den Karpaten und Privatgymnasium, war es schiere Ungeheuerlichkeit, im Sommer 1941 zusammen mit der Familie, mit Vater, Mutter und kleinem Bruder gleichsam über Nacht von den Sowjets ins ferne Sibirien deportiert zu werden.
Bartfeld-Feller schlägt für uns ein Brevier erschütternder Ereignisse auf, denen vor allem ihr eigener Vater, aber auch viele der mitdeportierten Czernowitzer und Bukowiner Juden - insbesondere in den ersten Monaten und Jahren der Verbannung im sibirischen Dörfchen Krassnojarka - zum Opfer fielen. Die heute in Tel Aviv lebende Schriftstellerin, die ihren vierten Band vorbereitet, liefert einen Reigen skurriler und abgründiger Kurzgeschichten und Skizzen, die den Leser oftmals fassungslos zurücklassen. Nicht immer wird der biographisch-chronologische, oft auch kausale Zusammenhang ihrer Darstellungen deutlich. Gelegentlich gleiten ihre Schilderungen ins Anekdotenhafte ab. Oft wünscht man sich mehr Nähe und Lebendigkeit, nicht weniger ein höheres Maß an geschärftem Detailbewusstsein und epischer Breite. Doch sollte man sich hüten, Bartfeld-Fellers Erzähldiktion zu unterschätzen, die - dominiert vom faszinierend gütigen Wesen dieses Menschen - nie auf Wirkung setzt und viel zu nüchtern ist, als dass man der Würde und der Glaubwürdigkeit ihrer Erzählungen ein Jota rauben könnte. Wer sich mit der Geschichte der Bukowina befasst, kommt an dieser Autorin und ihrem Werk nicht vorbei.
Margit Bartfeld-Feller. Wie aus ganz anderen Welten. Erinnerungen an Czernowitz und die sibirische Verbannung. Hrsg. Von Erhard Roy Wiehn. Konstanz. Hartung Gorre 2000. 72 Seiten. ISBN 3-89649-527-5. 22,00 DEM.