Inhalt
Die Buche. Eine Anthologie deutschsprachiger Judendichtung aus der Bukowina. Zusammengestellt von Alfred Margul-Sperber.
Zu den unbestrittenen Verdiensten des Lyrikers, Publizisten und Übersetzers Alfred Margul-Sperber (1898-1967) zählt nicht zuletzt seine neidlose und entdeckungsfreudige Förderung deutsch-jüdischer Dichter der Bukowina. Als deren Spiritus rector stellte er in den 1930er Jahren - unter Mitwirkung seines Freundes Alfred Kittner (1906-1991) - eine Gedichtanthologie zusammen, die dazu dienen sollte, die Verlautbarungen seiner Weggefährten aus der regionalen Isolation hinauszuführen. Sperber wollte den Beweis erbringen, dass auch die jüdischen Autoren in und aus der Bukowina einen „Sonderchor deutscher Dichtung" bildeten. Die unermüdlichen Bemühungen Sperbers zerschellten jedoch an den politischen Entwicklungen in Europa: der Machtergreifung Hitlers in Deutschland (1933), dem „Anschluss" Österreichs (1938) an das expansionsbesessene 'Dritte Reich', der Errichtung des nationalsozialistischer Herrschaft unterstellten "Protektorats Böhmen und Mähren" (1939) und dem Rechtsruck der rumänischen Gesellschaft.
In dem Nachlass Alfred Margul-Sperbers, der seit 1980 geordnet im Bukarester Museum der Rumänischen Literatur (MLR) lagert, haben sich insgesamt neun Konvolute erhalten, die dem gescholtenen Projekt Die Buche zuzuordnen sind: zwei Fassungen (A und B) mit unterschiedlichen Untertiteln in drei bzw. zwei Varianten sowie drei Mappen mit Schriftstücken, die offensichtlich Vorstufen und Ableger der beiden Fassungen darstellen. Die Herausgeber haben sich für die integrale Veröffentlichung des umfangreichsten Konvoluts der Fassung A Die Buche. Eine Anthologie deutschsprachiger Judendichtung aus der Bukowina (A 1) entschieden, die Gedichte von 32 Autoren - von Rose Ausländer bis Kubi Wohl - enthält. Aus Fassung B1 Die Buche. Eine Anthologie jüdischer Dichtung aus der Bukowina, an der Sperber auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete, fanden nur jene Texte Aufnahme, die in A1 nicht enthalten sind - u. a. 17 Gedichte von Paul Antschel/Paul Celan. Abgedruckt sind in dieser Edition außerdem drei Überblicksaufsätze Sperbers, die ihn als kenntnisreichen Chronisten der bukowinadeutschen Literatur ausweisen.
Ein Editorischer Bericht (S. 21-42) liefert Auskünfte über Beschaffenheit und Inhalt aller Buche-Konvolute, im Nachwort (S. 425-469) werden die sozialhistorischen Rahmenbedingungen deutschsprachiger Literatur im multikulturellen Umfeld der Bukowina skizziert sowie Entstehungsgeschichte und Konzeption der mehrfach als 'legendär' ausgerufenen Anthologie - aufgrund der jahrelangen Korrespondenz Sperbers mit zahlreichen Autoren und dem Berliner Schocken Verlag - rekonstruiert. Der in drei Abschnitte gegliederte Biobliografische Anhang (S. 365-424) listet die Anthologien deutschsprachiger bukowinischer Literatur des 20. Jahrhunderts sowie relevante sekundärliterarische Untersuchungen auf und bietet Informationen zu Leben und Werk der Buche-Autoren, deren Biografien - unter dem Aspekt faschistischer Vernichtungsaktionen, aber auch stalinistischer Repressionen - erschütternde "Schicksalsextreme" (Klaus Werner) in finsteren Zeiten enthüllen.
Text: Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. an der LMU München
Die Buche. Eine Anthologie deutschsprachiger Judendichtung aus der Bukowina. Zusammengestellt von Alfred Margul-Sperber. Aus dem Nachlass herausgegeben von George Guţu, Peter Motzan und Stefan Sienerth. München 2009, IKGS Verlag, geb., 469 S. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. an der LMU München.
ISBN 978-3-9809851-4-8 / 978-3-89086-516-4.
€ 28,50
Erstens sind ihre Träger Dichter, in einer Zeit, in der, wie ein Witz lautet, ein Ehemann seiner Frau auf die vor dem Schaufenster einer Modistin geäußerten Bitte, er möge ihr einen bestimmten Hut kaufen, denn er sei wie ein Gedicht, mit geringschätzendem Achselzucken erwidert: „Aber Liebling, wer kauft heutzutage noch Gedichte!" Zweitens sind diese Dichter Juden, und das heißt, dass die nichtjüdische Welt von diesen Dichtern nichts wissen will [...] und dass die jüdische Welt, wenn man ihr mit jüdischen Gedichten kommt, erklärt, sie habe heutzutage andere Sorgen. Drittens schreiben die jüdischen Dichter der Bukowina in der überwältigenden Mehrzahl deutsch, und das ist ein Fall besonderer Tragik in einer Zeit, in der man ja auch den in Deutschland lebenden jüdischen Dichtern [...] dies Recht auf ihre Zuständigkeit in der Dichtung deutscher Zunge abspricht [...]. Die vierte, vielleicht wesentlichste Tragik der jüdischen Dichter der Bukowina besteht darin, dass sie eben in der Bukowina leben, wo es für sie weder ein Echo noch ein Publikum gibt, weder Verleger noch Verbreitungsmöglichkeit durch periodischen Druck, keine Zeitschriften, nur Tageszeitungen [...].
Alfred Margul-Sperber: Jüdische Dichtung in der Bukowina (1936)
(Covertext)